Wäre es nicht praktisch, wir könnten uns häuten? Alle paar Jahre einfach abstreifen, was uns an Zwängen, Abhängigkeiten und emotionalem Plunder lästig geworden ist? Die Schweizer Künstlerin Heidi Bucher (1926–1993) machte die Idee einer solchen Auferstehung zum Kern ihres künstlerischen Schaffens. Im Manifest «Parkettlibelle» beschreibt sie ihre Arbeit als Prozess der Metamorphose, als Ablegen sozialer Konditionierungen. Und wahrlich, Heidi Bucher zog los, sich und die Welt zu häuten.
Beeinflusst von Johannes Itten und Max Bill
Das Kunstmuseum Bern widmet der fast vergessenen Künstlerin die bisher umfassendste Retrospektive in der Schweiz. «Heidi Bucher – Metamorphosen I» zeigt rund 100 Werke aus all ihren Schaffensphasen, von unbekannten Designstudien bis zu den Latex-«Häutungen» ihres Hauptwerks.
Bucher wächst in einem grossbürgerlichen Winterthurer Elternhaus auf. Nach einer Schneiderlehre studiert sie an der Kunstgewerbeschule Zürich Mo-de- und Textildesign unter den beiden Bauhäuslern Johannes Itten und Max Bill. Deren Einfluss findet sich nicht nur in frühen Farbübungen, sondern auch in «Bodyshells» von 1972, einer ihrer ersten grossen Arbeiten. Dafür schafft sie aus Schaumstoff Anzüge, die Oskar Schlemmers Tanzkostüme aus dem «Triadischen Ballett» wie auch die biomorphen Formen von Max Bill in Erinnerung rufen.
Performance und Skulptur vermischen sich
Damals lebt Heidi Bucher mit ihrer Familie in Kalifornien, wo sie mit der feministischen Kunst von Miriam Schapiro und Judy Chicago in Kontakt kommt. Bucher stellt zwar nicht wie viele Künstlerinnen aus diesem Kreis Mutterschaft, weibliche Sexualität oder häusliche Gewalt ins Zentrum ihres Schaffens, widmet sich aber sehr wohl dem Verhältnis des Körpers zur Umgebung. So umtanzen sich im Performance-Video zu «Bodyshells» etwa geschlechtslose Wesen am Strand, ohne sich je zu berühren. Eine Allegorie auf den Rückzug ins Private, der sich in den kriselnden USA der 1970er bemerkbar macht?
Erstmals vermischen sich hier Skulptur und Performance auf eine Art, wie sie es in Buchers Œuvre auch später immer wieder tun. Zurück in der Schweiz beginnt die Künstlerin ab Mitte der 1970er-Jahre, Objekte und Räume zu «häuten». Heidi Bucher trägt etwa Latex und Baumwollstreifen auf den Parkettboden ihres Elternhauses auf. Den so entstandenen Abdruck des Bodens faltet und rafft sie zu Körper und Flügeln einer Libelle. Ein Kostüm, mit dessen Hilfe sie sich für Vernissagen in ihr Krafttier verwandelt.
Ihrem Elternhaus wendet sich Bucher in der zweiten Hälfte der 1970er erneut zu, indem sie die Wandtäfelungen des Herrenzimmers häutet. Die so entstandenen Latex-Abdrücke installiert sie für «Herrenzimmer» als geisterhafte Kopie des Raums. Doch der Entstehungsprozess ist hier ebenso wichtig: Heidi Bucher lässt sich während der körperlichen Arbeit des Häutens fotografieren und filmen. Sie wickelt sich immer wieder in die Latexbahnen ein, arrangiert sie so um ihren Körper, dass sie wiederum an Libellen-Flügel erinnern. Die Künstlerin inszeniert den Moment, in dem sie den Raum und sich selber von der Vergangenheit mit ihren Machtstrukturen befreit.
Gegen einengende Gesellschaftsnormen
Diese Arbeitsweise wendet sie später auch auf öffentliche Orte an. Bucher häutet das ehemalige Neuenburger Gefängnis Le Landeron; sie häutet das Eingangsportal des Grandhotel Brissago, wo während des Zweiten Weltkriegs jüdische Kinder und Frauen interniert waren; sie häutet ein früheres Behandlungszimmer im Sanatorium Bellevue am Bodensee. Überall zieht Heidi Bucher die einengenden Gesellschaftsnormen, früheren Machtverhältnisse und die Geschichtsverdrängung von den Wänden. Es gäbe noch viel zu häuten.
Heidi Bucher – Metamorphosen I
Bis So, 7.8., Kunstmuseum Bern