Brettspiele sind gefährlich. «Catan » oder «Risiko» strapazierten schon so manche Freundschaft. Geht es in einem Strategiespiel erst einmal um Rohstoffe oder gar ganze Ländereien, wird bald taktiert, wachsen Missgunst und Misstrauen. Auch die drei Spielerinnen auf Lubaina Himids Gemälde «The Operating Table» (siehe oben rechts) beäugen sich argwöhnisch.
Doch am Tisch hat es noch Platz. Wer möchte um landwirtschaftliche Parzellen kämpfen? Wer hat die Nerven dazu? Lubaina Himid ruft die Betrachter ihrer Werke gerne dazu auf, sich zumindest gedanklich an der Kunst zu beteiligen. Ihre Installationen aus Karton, Sperrholz und Alltagsgegenständen wirken wie Aufforderungen an jedermann, sich als Künstler oder Künstlerin zu versuchen.
Anderswo stupst sie die Betrachter mit Klangräumen und Leitfragen zum Grübeln oder Träumen an. Himid, Tochter einer Britin und eines Tansaniers aus Sansibar, sah sich selber immer sowohl als Künstlerin wie auch als Kulturaktivistin. Ihre Karriere begann die heute 67-Jährige als Bühnenbildnerin.
In den 1980ern war sie Teil des Black Arts Movement in Grossbritannien, welche das Schaffen schwarzer und asiatisch-stämmiger Künstler sichtbar machen wollte. 2017 erhielt sie als erste Schwarze den bedeutenden Turner Prize.
Sklaverei, Umwelt, Rollenbilder und mehr
Nun sind Lubaina Himids Arbeiten erstmals in der Schweiz zu sehen. Das Musée cantonal des Beaux-Arts in Lausanne zeigt die Ausstellung «So Many Dreams», die den Sommer über in der Londoner Tate Modern zu sehen war. Die Schau ver- eint rund 70 Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen.
Ein immersiver Parcours aus Gemälden, skulpturalen Stücken und Klanginstallationen, der durch Himids ganzen Themenfundus führt: Kolonialgeschichte und Sklaverei, unsere gebaute Umwelt, Kleidung und Rollenbilder. Dabei sind ihre Werke nicht verkrampft oder anklagend, sondern vielmehr einnehmend farbig und kraftvoll. «Wozu dienen eigentlich Denkmäler?», will die Künstlerin etwa zu einem verspielten Diorama wissen.
Darauf hat sie mit afrikanischen Mustern bemalte Puddingformen platziert, die an umgekippte Denkmäler erinnern. Vergnüglich stürzt Himid Reiterstandbilder und korrigiert die eurozentrische Geschichtsschreibung. Ihre Installation «A Fashionable Marriage » von 1984 ist hingegen bissig satirisch. Himid hat hier William Hogarths Gemälde «Marriage A-la-Mode: The Toilette » mit lebensgrossen Kartonaufstellern neu interpretiert.
Eine theatralische Szene, die einen zurück zu Neoliberalismus, Machokultur und Rassismus der 1980er-Jahre führt. Zwischen nachdenklicher Poesie und mysteriöser Spannung pendeln schliesslich viele von Himids jüngeren Arbeiten. Immer wieder taucht etwa das Meer als Motiv auf. Mal ist es wie auf dem Gemälde «Ball on Shipboard» Ort des Vergnügens, mal verweist es wie im angedeuteten Wellengang der Klanginstallation «Old Boat / New Money» auf die Geschichte der Sklaverei.
Figurenkonstellationen regen zum Denken an
Utopische Architekturen werfen anderswo Fragen nach der Qualität unseres Wohnraums auf. In ihren rätselhaften Figurenkonstellationen verschiebt Lubaina Himid schliesslich immer wieder Rollen. Dandyhafte Männer stecken mitten in ihrem selbstsicheren Auftreten fest, wirken auf einmal hilflos.
In «Three Architects» oder «The Operating Table» verhandeln hingegen Frauen ihre gebaute Umwelt und die Aufteilung des Ackerlandes. Doch auch diese Gemälde wirken, als hätte Lubaina Himid ein Spiel mittendrin angehalten. «Wie geht es weiter?», will sie in der Ausstellung nun von den Betrachtern wissen. Sie weiss: In jedem und jeder von uns stecken Utopien. Sie müssen nur raus.
Lubaina Himid – So Many Dreams
Fr, 4.11.–So, 5.2., MCBA Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne