kulturtipp: Thomas Burkhalter, was hat Musik im Museum zu suchen?
Thomas Burkhalter: Wir wollen zeigen, dass und wie sich Musik heute vermehrt audiovisuell präsentiert. Mittels Plattencovers, Videoclips, Performances.
Inwiefern kann Musik «Visionen einer neuen Welt» vermitteln, wie Sie im Untertitel zur Ausstellung versprechen?
Nebst der visuellen Ebene aktueller Musik geht es uns um Visionen im Sinne neuer künstlerischer Positionen. In Pakistan etwa kämpft die Underground-Musik gegen Propaganda, Fanatismus und Kommerzialisierung. Weltweit versuchen Musiker heute, Visionen einer anderen, besseren Welt zu schaffen.
Was konkret ist in der Ausstellung zu erwarten?
Den Kern bilden 24 Videoclips aus aller Welt, präsentiert in kunstvoll gefertigten «Kinoboxen». Es gibt Podcasts, Künstlerporträts und Stimmen von Musikkritikern. Als Gesamteindruck soll die globale musikalische Vielfalt erklingen, aber auch klar werden, wie fragil die künstlerischen Visionen sind.
Welche Art von Musik ist zu hören und zu sehen?
Vor allem subkulturelle Popmusik von Hip-Hop über elektronische Musik bis zu avantgardistischen Spielarten. Wir wollten die multilokale Vielfalt authentisch und ohne eurozentrischen Blick abbilden. So haben wir vor zwei Jahren über das Norient-Netzwerk mit dem Sammeln von Videoclips begonnen. Musiker, Blogger, Journalisten aus allen Kontinenten schickten uns fast 2000 Clips, welche die Basis zur Ausstellung bildeten. Das Buch zur Ausstellung ist ein Patchwork aus Stimmen von 250 Autoren aus 50 Ländern.
Ein Patchwork zur multilokalen Vielfalt: Ist «Seismographic Sounds» also eher als Flickenteppich denn als Gesamtschau konzipiert?
Das Bild des Flickenteppichs gefällt mir. Musik und Musikproduktion verändern sich heute rasant. Wer dies verstehen und diskutieren will, muss multilokal denken.
Sie legen Wert auf die Vielfalt: Ist Musik vielfältiger geworden oder hat sich nur die Wahrnehmung verändert?
Dank neuen technischen Möglichkeiten wird heute mehr Musik produziert als je zuvor. Musik lässt sich auch im Internet hören und sehen. Die Einschätzung, ob damit die Vielfalt zugenommen hat, überlasse ich den Ausstellungsbesuchenden. Fakt ist, dass heute in London oder Paris aktuelle Musik aus Afrika, Lateinamerika oder der arabischen Welt gehört und gemacht wird. Umgekehrt hat der Koreaner Psy mit seinem «Gangnam Style» einen Welthit gelandet. Die Trends in Mainstream und Underground werden in Zukunft auch von ausserhalb Europas und den USA kommen.
Inwieweit hat sich auch der kulturelle, soziale und politische Stellenwert von Musik verändert?
Musik ist ein Spiegelbild der Gesellschaft und mithin der globalisierten Welt. Musik kann sogar in die Zukunft weisen, indem sie aufzeigt, wie sich Gesellschaften, Kulturen und ganze Weltbilder ändern.
Musiker gelten in der Regel als apolitisch …
Es gibt nach wie vor verschiedene Formen des musikalischen Protestes. Eine wichtige Rolle spielt heute Ironie. Und die Parodie – etwa auf IS oder religiöse Bewegungen. Oder die Post-Digital-Pop-Bewegung, die Mainstream-Sounds schreddert und als Übersteigerung ironisiert. Im Libanon gilt es schon als Protest, qualitativ hochstehende Untergrundmusik zu machen.
Aber interessiert dies ein junges Musikpublikum?
Unser Publikum sehen wir an unserem jährlichen Musikfilm Festival. Dort gibt es erfreulich viele junge Leute um die 25. Unsere Internet-Plattform wird zudem von politisch Interessierten über 40 und Wissenschaftlern besucht.
Wen sprechen Sie mit der Ausstellung an?
Ein breites Publikum. Wir haben grossen Wert auf eingängige Vermittlung und Verständlichkeit gelegt. Alle Videoclips sind untertitelt, die Podcasts können auch auf Deutsch gehört werden. Die Architektur ist einladend gestaltet. Was wir nicht beeinflussen können: Musik polarisiert. Immer. Ich habe aber beobachtet, dass auch schräge Musik ihre Zuhörerinnen und Zuhörer findet, wenn die Qualität stimmt. Und Bilder wirken ohnehin zugänglicher als Musik.
Die Ausstellung reist später nach Deutschland und Grossbritannien. Wird sie sich verändern?
Es ist ein Projekt, das stetig wächst. Da wir unterschiedliche Museen und Festivals bespielen, kann es zu Anpassungen und Aktualisierungen kommen. Die Rahmenprogramme sind ohnehin überall anders.
Vermittler der Musikszenen
Der Berner Thomas Burkhalter (42) ist Musikethnologe, Kulturvermittler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule der Künste Bern und der Universität Basel. Seit seiner Dissertation über die Musikszenen im Libanon forscht, publiziert und vermittelt er zur globalisierten Musikszene. Er ist Gründer und Chefredaktor der Online-Plattform Norient – Network for Local and Global Sounds and Media Culture (www.norient.com). Mit Norient organisiert er ein jährliches Musikfilm Festival, Performances und Podien. Er kreiert Radiosendungen, dreht Filme und schreibt Bücher. «Seismographic Sounds» ist die erste Norient-Ausstellung.
Buch
«Seismographic Sounds – Visions of a New World»
Theresa Beyer, Thomas Burkhalter, Hannes Liechti (Hrsg.)
504 Seiten
(Norient 2015).
Ausstellung
Seismographic Sounds
Sa, 15.8.–So, 20.9., Forum Schlossplatz Aarau
Do, 10.12.–So, 10.1., Künstlerhaus S11 Solothurn
Weitere Stationen und Rahmenprogramme: http://seismographic-sounds.norient.com/