Ausstellung - Seelenkenner mit Hang zur Affäre
Zu Arthur Schnitzlers 150. Geburtstag würdigt der Zürcher Strauhof drei seiner wichtigsten Wer-ke. Und das neu erschienene Traumtagebuch gibt einen tiefen Einblick in Schnitzlers Seelenleben.
Inhalt
Kulturtipp 13/2012
Babina Cathomen
«Affairen und Affekte» heisst die Ausstellung über Arthur Schnitzler, den berühmten Autor und Arzt aus dem Wiener Fin de Siècle. Ebensolche Liebeswirren durchziehen Schnitzlers Werke. Drei davon stellt der Zürcher Strauhof in begehbaren Hör- und Sehräumen ins Zentrum und verknüpft sie mit zeitgenössischen Dokumenten und Bildern. Im Ausstellungsraum über das skandalträchtige Bühnenstück «Der Reigen» von 1903,...
«Affairen und Affekte» heisst die Ausstellung über Arthur Schnitzler, den berühmten Autor und Arzt aus dem Wiener Fin de Siècle. Ebensolche Liebeswirren durchziehen Schnitzlers Werke. Drei davon stellt der Zürcher Strauhof in begehbaren Hör- und Sehräumen ins Zentrum und verknüpft sie mit zeitgenössischen Dokumenten und Bildern. Im Ausstellungsraum über das skandalträchtige Bühnenstück «Der Reigen» von 1903, in dem sich von der Dirne bis zum Grafen alle miteinander vergnügen, ist etwa ein Miederleibchen aus dem 20. Jahrhundert zu sehen. Und als Gegenpol erschreckt die Besucher das Injektionsbesteck zur Syphilis-Behandlung.
Auch die Novelle «Leutnant Gustl» von 1901 löste einen Skandal aus: Schnitzlers Kritik am Ehrenkodex der österreichisch-ungarischen Armee kam in Militärkreisen schlecht an und hatte die Aberkennung seines Offiziersrangs zur Folge. Berühmt wurde seine Novelle durch den inneren Monolog: Mit diesem neuen literarischen Mittel hat Schnitzler die Ängste und Komplexe des jungen Leutnants Gustl aus der Innenperspektive beleuchtet.
Die Kuratorinnen Evelyne Polt-Heinzl und Gisela Steinlechner dokumentieren in der Ausstellung seine Experimente mit Hypnose – und wie er diese in der literarischen Form der zensurfreien Gedankenrede dargestellt hat.
Zum dritten Werk «Fräulein Else» (1924) stellen die Kuratorinnen Bezüge zur «neuen Frau» und der freizügigen Tanz- und Girl-Kultur der 1920er-Jahre her. In der Monolog-Novelle kann die Protagonistin ihre erotischen und emanzipatorischen Freiheiten lange nur in der Fantasie ausleben. Als «Befreiungsschlag» von den erpresserischen Forderungen eines älteren Lüstlings enthüllt sie schliesslich vor versammelter Abendgesellschaft ihren Körper – nach diesem Akt bleibt ihr aber nur noch eine Überdosis Schlafmittel.
Intensiver Träumer
In seinen Werken hat sich Schnitzler intensiv mit Träumen beschäftigt. Für Schnitzler-Liebhaber empfiehlt sich die Lektüre des neu erschienenen Traumtagebuchs. In dieser Edition sind erstmals alle seine schriftlich festgehaltenen Träume von 1875 bis 1931 in einem Band versammelt. Peter Michael Braunwarth und Leo A. Lensing haben Schnitzlers Traum-Notate aus verschiedenen Quellen aus dem Nachlass zusammengetragen und mit umfassenden Anmerkungen und einem aufschlussreichen Nachwort versehen.
Mit 13 Jahren hat Arthur Schnitzler mit der Aufzeichnung seiner Träume begonnen. In jener Zeit träumt er oft von seiner Jugendliebe Fännchen, von der er sich einen Kuss erhoffte. In späteren Träumen treten berühmte Zeitgenossen wie Klimt, Hoffmansthal oder Mahler auf. Von Sigmund Freud, dessen «Traumdeutung» er kannte, träumt er gleich mehrmals. In einem Traum von 1920 wartet er in dessen «Wartezimmer, aber irgendwie Theatersaal» vergeblich auf den Psychoanalytiker. Acht Jahre später äussert sich in einem Traum bereits seine Skepsis gegenüber der freudschen Psychoanalyse.
Auch Schreibblockaden («Eine grosse Spinne, die mir den Bleistift wegträgt»), Ehe- und Lebenskrisen finden in seinen Träumen mehr oder weniger versteckt ihren Ausdruck; immer wieder träumt er etwa von seiner eigenen Beerdigung. Und der Nationalsozialismus hält in den Träumen des österreichisch-jüdischen Autors ebenfalls Einzug: 1924 flieht er etwa träumend vor einer «Hakenkreuzgesellschaft» mit Stefan Zweig aus einem Wirtshaus.
Das Buch setzt einige Kenntnisse über das Wiener Fin de Siècle und den Autor voraus, und die Träume erschliessen sich meist erst durch die Anmerkungen. Es braucht etwas Geduld, sich einzulesen – diese wird aber mit einem intimen Einblick in die Wiener Gesellschaft um 1900 und Schnitzlers Seelenleben belohnt.
[Buch]
Arthur Schnitzler
Träume.
Das Traumtagebuch 1875–1931
Hg. Peter Michael Braunwarth
und Leo A. Lensing
493 Seiten
(Wallstein Verlag 2012).
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