Es gibt Menschen, die blühen im Austausch mit anderen auf. Und es gibt jene, die brauchen Ruhe, Abgeschiedenheit. Johannes Robert Schürch (1895–1941) gehörte zu den letzteren.
Zehn Jahre lang verbringt der Schweizer Zeichner, Maler und Grafiker weitgehend in Isolation. Just diese Jahre sind jedoch auch seine produktivsten. Erst in dieser Zeit findet er zu seiner eigenen Bildsprache. Erst in dieser Zeit entwickelt sich der Künstler Johannes Robert Schürch, der heute zu den bedeutenden Vertretern der Schweizer Moderne gezählt wird.
Zunächst als Gehilfe von Ferdinand Hodler tätig
Das Aargauer Kunsthaus rückt den vergessenen Künstler jetzt mit einer neuen Ausstellung in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Das Haus widmete Schürch 1976 eine erste Retrospektive und nahm seine Arbeiten schon früh in die Sammlung auf. In der Schau «Johannes Robert Schürch – Alles sehen» werden nun rund 130 Papierarbeiten und Skizzenbücher zum ersten Mal öffentlich gezeigt. Die Schau wird zudem von einem neuen Buch begleitet.
Die ausgestellten Tuschzeichnungen und Aquarelle entstehen grösstenteils zwischen 1922 und 1932 – in jenen Jahren also, in denen er zusammen mit seiner Mutter zurückgezogen in Locarno-Monti lebt.
Dieser Rückzug mag fürs Erste erstaunen, deutet im Leben und in der Karriere des Künstlers doch zunächst wenig auf diese Entwicklung hin. Schürch absolviert in Zürich eine Lehre in einem grafischen Atelier, wird später Schüler des Landschaftsmalers Ernst Otto Leuenberger.
Stets von seiner Mutter unterstützt, besucht er die École des Beaux-Arts in Genf, wird Ferdinand Hodlers Gehilfe. Später fördert ihn der Unternehmer Kurt Sponagel, die Zürcher Kunstgesellschaft verleiht ihm ein Reisestipendium. Die Ölgemälde und Zeichnungen aus seinen frühen Jahren sind noch lange von seinen Vorbildern geprägt, erinnern mal an Ferdinand Hodler, mal an Käthe Kollwitz, sind mal im Symbolismus, mal im Expressionismus verankert.
Liebe, Tod und Aussenseitertum
Johannes Robert Schürch malt Versehrte und Bettler, Arbeiterfamilien und Prostituierte. Der Künstler ist getrieben von der Idee, «schonungslos schamlos die Wahrheit» darzustellen, wie er in einem Brief an einen Jugendfreund schreibt, «ohne das Schreckliche wegzuträumen». Die Arbeiten, die nun im Aargauer Kunsthaus zu sehen sind, verdeutlichen seine intensive Beschäftigung mit Liebe, Tod und Aussenseitertum. Der stete Wunsch nach Einsamkeit verleitet Schürch nach einer Italienreise zum Eremitendasein.
Und ausgerechnet der Ausbruch aus der Gesellschaft scheint seinen Blick für die unterschiedlichen Facetten der menschlichen Existenz noch zu schärfen. Spontan und von einer inneren Bilderwelt angefacht, zeichnet er manchmal nächtelang: Memento-mori-Stillleben und Totentänze, düstere Porträts und verletzlich wirkende Figurenpaare, nachdenkliche und halb-fantastische Landschaften.
Tiefe Stille und rohe Emotionalität
Schürch selber nabelt sich 1932 von seiner Mutter ab und kehrt bis zu seinem frühen Tuberkulosetod gewissermassen in die Zivilisation zurück. Doch aus seiner Zeit der Isolation bleiben Zeichnungen und Aquarelle, die einen mit ihrer tiefen Stille und ihrer rohen Emotionalität noch heute einnehmen. Aufgekratzte Bilderwelten für aufgekratzte Zeiten? Vielleicht sprechen auch einfach Schürchs Sensibilität und Mitgefühl aus diesen Arbeiten. Man nehme sich ein Vorbild an den Eigenbrötlern.
Johannes Robert Schürch – Alles sehen
Sa, 14.9.–So, 12.1.
Aargauer Kunsthaus Aarau