Als Kara Walker 1994 zum ersten Mal im grossen Rahmen in den USA ausstellt, zeigt sie die Welt in Schwarz-Weiss, und das passt gut. Der schwarze Ex-Sportler und Filmstar O.J. Simpson ist wegen Mord festgenommen worden, und zwei Jahre nach den Unruhen von Los Angeles diskutiert die Nation erneut über Polizeiwillkür und Rassendiskriminierung. Und die Afroamerikanerin Walker stellt in New York Scherenschnitte aus, die schonungslos die Geschichte der Sklaverei und den Rassismus in den USA anprangern.
Grossformatige Silhouetten
Walker wächst zunächst in einem liberalen Städtchen in Kalifornien auf. Ihr Vater ist Maler und Dozent, ihre Mutter arbeitet in der Verwaltung einer Universität. Als die Familie nach Atlanta, Georgia, zieht, erlebt Walker als Teenager zum ersten Mal offenen Rassismus. Erst als Studentin an der renommierten Rhode Island School of Design lässt sie diese Erfahrungen in ihre Kunst einfliessen. Die Wucht ihrer Kunst ist dafür umso grösser.
Mit ihren grossformatigen Silhouetten und Scherenschnitten wird Walker Mitte der 1990er bekannt. Diese wirken zunächst harmlos, zeigen schwarze Frauen und Landschaften aus dem Süden der USA. Aber welche Sprengkraft, welcher Biss steckt in diesen Arbeiten! Mit dem Schattenriss etwa bedient sich die heute 51-jährige Künstlerin eines Genres, das vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Europas Bürgertum beliebt war. Mehr noch: Der Physiognom Johann Caspar Lavater verwendete die Silhouette, um seine Theorie zu untermalen, wonach sich die «tierische Beschränktheit» der Schwarzen bereits in deren Körperbau zeige. Walker verpasst ihren Frauen überlange Hälse, wulstige Lippen, gar undefinierbare Wucherungen – zitiert also die Ideen der Physiognomie sowie die erniedrigenden Stereotypen aus den sogenannten Minstrel Shows, bei denen Weisse Schwarze darstellen.
Ausstellung in Basel als wildes Potpourri
Sie parodiert gewissermassen die bis heute andauernde Vorstellung vom schwarzen Körper als etwas Monströsem. In ihren Scherenschnitt-Landschaften wiederum wechseln sich Gewalt, Erniedrigungen, Sex und allerlei Obszönes ab. Diese Bilder fechten das in den USA gerne gepflegte Idyll des Antebellum South an, der Südstaaten vor dem Sezessionskrieg.
Intimer lernt man Walker und ihr Schaffen nun im Kunstmuseum Basel kennen. Dieses widmet ihr eine erste grosse Schweizer Schau mit über 600 Arbeiten aus ihrem Archiv. Die Skizzen, Aquarelle und Notizen werden nicht chronologisch gezeigt. Im Gegenteil: Als wildes Potpourri verdeutlichen sie, wie unzertrennlich die Verbindung zwischen Privatem und Gesellschaftspolitischem in Walkers Themen ist. Als afroamerikanische Frau kann sie nicht über den eigenen Körper und die eigene Identität nachdenken, ohne Rassenbeziehungen, Gewalt und Geschlechterrollen zu hinterfragen.
Darüber hinaus zeugen diese Bilder vor allem aber von der Virtuosität dieser Künstlerin. Das kleinformatige «’merica 2016» etwa entfaltet seine ganz eigene Dynamik durch die Aquarell- und Tintenstriche. Fast überwältigend wird dadurch die verdichtete Darstellung weisser Gewalt gegenüber Schwarzen. Es ist kein Zufall, dass Walker hier Picassos «Guernica» zitiert. So wie der spanische Künstler 1937 den Luftangriff auf die gleichnamige Stadt verarbeitet, schafft Kara Walker Mahnmale für die Humanität. Jede Zeit braucht solche.
Kara Walker – A black hole is everything a star longs to be
Bis So, 26.9.
Kunstmuseum Basel