Schon das Foyer der Helvetia Versicherungen in Basel könnte man mit einem Museum verwechseln. Hier zieht eine grossformatige Kohlezeichnung von huber.huber den Blick auf sich, dort eine fesselnde Videoarbeit von Gabriella Gerosa. Wenig später erinnert auch der Gang durchs Gebäude an eine Galerieführung. Nathalie Loch, Leiterin der Fachstelle Kunst bei Helvetia, deutet im Vorbeigehen auf ein Gemälde von Hermann Scherer und im Treppenhaus auf Pipilotti Rists riesigen Vorhang aus bunten Plastikkugeln.
Fast könnte man das eigentliche Ziel dieses Morgens vergessen: das Helvetia Art Foyer am anderen Ende des Gebäudekomplexes. Im Ausstellungsraum ist aktuell die Schau «I Like!» zu sehen, mit der die Helvetia Kunstsammlung ihren 80. Geburtstag feiert. Die Ausstellung vereint knapp 50 Arbeiten aus dem nahezu 2000 Werke umfassenden Bestand von Helvetia: Landschaftsgemälde und Porträts, Fotos, Plastiken und Zeichnungen. Kuratorin Nathalie Loch wählte einen partizipativen Ansatz für die Schau.
Sie bat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wirtschaft, sich ein Kunstwerk aus einer Vorauswahl auszusuchen. Welche Gedanken sich die Beteiligten zu ihrem Werk machten, erfährt das Publikum in kurzen Hörstücken, die via QR-Code und Smartphone zugänglich sind. «Ich fand die Idee einer chronologischen Überblicksschau langweilig», sagt Loch. «Auf diese Art entsteht ein vielstimmiger und spielerischer Zugang zur Sammlung.»
Der persönlich gefärbte und eklektische Mix aus Kunstwerken macht «I Like!» zu einer so vergnüglichen wie anregenden Entdeckungsreise. Hannah-Sophïa Reinhard, Lochs Kollegin von der Fachstelle Kunst, assoziiert Jürg Kreienbühls Gemälde «Der Faltenberg» mit Wanderungen in der Kindheit und den faltigen Händen ihres Grossvaters. Moderatorin Deborah Rullo sieht in Cuno Amiets «Regatta im Sturm» ein Trostbild für turbulente Zeiten.
Und das Basler Stadtoriginal -minu lässt sich von einem Porträt von Irène Zurkinden zu Erinnerungen an den charismatischen Versicherungsdirektor Hans Theler animieren.
Vorbehalte gegen Firmensammlungen
Dieser Hans Theler war es übrigens, der in den 1940ern als kunstaffiner Leiter der damaligen National Versicherung den Grundstein für die Sammlung legte. Die Firmensammlung ist somit eine der ältesten der Schweiz – wenn auch längst nicht die einzige. Sammlungen finden sich in Versicherungskonzernen wie Mobiliar und Baloise, in Kantonal- und Grossbanken, in Pharmaunternehmen wie Roche und Novartis, bei der Post oder der Klinik Hirslanden.
Wer sich mit dem Thema befasst, merkt schon bald: Kunstsammlungen von Unternehmen werden zuweilen mit Argwohn betrachtet. Es gibt Firmen, die zeitgenössische Malerei kaufen, um gegenüber Mitarbeitern und Kunden Fortschrittlichkeit zu signalisieren. Doch nach Debatten um die Opioid-Krise und die Pharmafamilie Sackler in den USA fällt das Stichwort «Artwashing» – Reinwaschen durch Kunstförderung – manchmal etwas gar rasch.
Ebenfalls verleiten die Jahre eines überhitzten Kunstmarkts dazu, jede Sammeltätigkeit vorschnell unter Spekulationsverdacht zu stellen. Nathalie Loch kennt die Vorbehalte. Natürlich dürfe man nicht ausser Acht lassen, dass Kunstförderung für ein Unternehmen auch ein Imagefaktor sei, sagt sie. Als Wertanlage sei die Sammlung von Helvetia aber nicht angelegt. «Würden wir uns beim laufenden Ausbau ausschliesslich nach finanziellen Kriterien orientieren, müssten wir vornehmlich in BluechipKünstler investieren.»
Das würde nicht nur das Budget sprengen, sondern auch dem Konzept von Helvetia widersprechen, sich auf junge zeitgenössische Kunst zu konzentrieren. Privates Sammeln und Fördern hat gerade in der Schweizer Kunstlandschaft eine lange Tradition. Kaum eine Stadt, deren Kunstverein nicht von Mäzenen mitbegründet wurde. Kaum eine öffentliche Sammlung, deren Bestände nicht Schenkungen und Leihgaben von Privatsammlern enthalten.
Überdies waren Unternehmer wie der Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler und der Versicherungsdirektor Hans Theler überzeugt, dass auch die Kulturförderung zu den Aufgaben der Wirtschaft gehört. Duttis Engagement lebt heute im Migros-Kulturprozent und im Migros Museum für Gegenwartskunst weiter. Thelers Fördergedanke spiegelt sich im Helvetia Kunstpreis oder im Helvetia Art Foyer, das kostenlos zugänglich ist.
In Grossraumbüros ist kaum Platz für Kunst
Kunstsammlungen von Unternehmen sind heute so professionell wie nie, verfügen über Ankaufskommissionen und präzis definierte Sammlungsaufträge. Ihre Kuratorinnen und Kuratoren sind in nationalen sowie internationalen Verbänden organisiert, die sich den gängigen ethischen Standards verpflichtet sehen, sich aber auch mit einer herausfordernden Zukunft auseinandersetzen.
Nathalie Loch und ihre Kollegen treibt zum Beispiel das Thema Grossraumbüro um. Wohin mit der Kunst, wenn es kaum mehr Wände dafür gibt? Noch stärker beschäftigt Loch jedoch ein anderes Thema: «In der heutigen Wirtschaftslage ist der Rechtfertigungsdruck für Unternehmen, die sich eine Kunstsammlung leisten, grösser geworden.» In der Basler Museums- und Kulturlandschaft spüre man bereits, dass sich die Wirtschaft immer stärker aus der Kulturförderung zurückziehe.
Wie notwendig eine solche jedoch ist, dafür findet das Publikum in der Ausstellung «I Like!» ein Plädoyer mit Miriam Cahns Gemälde eines luftig-roten Koffers. HelvetiaMitarbeiterin Dunja Schwander liest ihn in ihrer Besprechung als Symbol für Hoffnung in Zeiten voller Krisen. Ihre Betrachtung ist anregend, fast aufwühlend. Solche Gefühle kann Kunst auslösen – aber dafür müssen Menschen sie auch sehen.
I Like! – 80 Jahre Helvetia Kunstsammlung
Bis Do, 29.2., jew. Do, 16.00 bis 20.00 Helvetia Art Foyer Basel
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