Ausstellung: Rostige Dinosaurier
Der Künstler Cyprien Gaillard dokumentiert den Abriss von Sozialbauten und stellt Baggerschaufeln aus. Die Schau im Museum Tinguely in Basel regt zum Nachdenken über den eigenen Lebensraum an.
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Kulturtipp 06/2019
Simon Knopf
Eines Tages wird sich eine Baggerschaufel in die Fassade jenes Hauses senken, an dem wir seit Jahr und Tag vorübergingen. Etwas Vertrautes mehr, das verschwindet. Hätte man die Arbeitersiedlung aus den 1930ern nicht bewahren sollen?
Der stete Wandel gehört zum urbanen Raum, und wenig verkörpert dies so wie eine Baggerschaufel. Der Künstler Cyprien Gaillard hat deshalb für eine Installation gleich mehrere davon versammelt. In seinem Werk &laqu...
Eines Tages wird sich eine Baggerschaufel in die Fassade jenes Hauses senken, an dem wir seit Jahr und Tag vorübergingen. Etwas Vertrautes mehr, das verschwindet. Hätte man die Arbeitersiedlung aus den 1930ern nicht bewahren sollen?
Der stete Wandel gehört zum urbanen Raum, und wenig verkörpert dies so wie eine Baggerschaufel. Der Künstler Cyprien Gaillard hat deshalb für eine Installation gleich mehrere davon versammelt. In seinem Werk «Diggers» stehen sie sich in zwei Reihen gegenüber: rostige Ungetüme, die mit ihren Zähnen an die Kiefer fossiler Dinosaurier erinnern. Durch die Befestigungsösen hat Gaillard Stäbe aus Onyx und Kalkspat geschoben. Es prallen Kräfte- und Zeitverhältnisse aufeinander – wuchtiger, Erdreich bezwingender Stahl trifft auf ein zerbrechliches, Millionen von Jahren altes Mineral.
«Diggers» bildet das Herzstück der Ausstellung «Roots Canal» im Basler Museum Tinguely. Seit gut 15 Jahren befasst sich der 39-Jährige in seinen Videos, Gemälden und Installationen mit Spannungsfeldern – Natur und Architektur, Bewahren und Erneuern, Aufbau und Zerstörung.
Zu subtiler Bildsprache gefunden
Der Künstler wirft einen spannenden und kritischen Blick auf die Wahrnehmung des eigenen Lebensraumes: In der Fotoreihe «Geographical Analogies» etwa platzierte er Schlösser neben brutalistischen Wohnblocks, Pärke neben Brachen, und hebelte gängige Ästhetik-Hierarchien aus. Für «View over Sighthill» dokumentierte er den Abriss eines schottischen Sozialbaus aus den 60ern. Aus feinen Betonresten des zerstörten Gebäudes legte er dann für «Chateau d’Oiron» einen Gartenpfad vor ein französisches Schloss. Cyprien Gaillard wollte damit vor einer «kulturellen Amnesie» warnen: Weshalb bewahren wir Schlösser, nicht aber Bauten der Nachkriegsmoderne, die einst für Gesellschaftsutopien standen?
Im jüngeren Schaffen scheint der Franzose zu einer subtilen Bildsprache gefunden zu haben. Die Serie «Sober City» besteht aus kleinformatigen Polaroidfotos städtischer Architektur. Gaillard belichtete die Bilder doppelt: Hochhäuser und Statuen legen sich über die Struktur eines Amethysten. Die Motive erscheinen undeutlich. Wie auch unsere Erinnerungen an Gebäude und Stadtlandschaften von einst verblassen. Wie sah die Siedlung aus, an der wir stets vorbeigingen? Wir wissen es nicht mehr.
Cyprien Gaillard – Roots Canal
Bis So, 5.5.
Museum Tinguely Basel