Absperrgitter für einmal nicht als richtungsweisende, schützende oder blockierende Raumteiler, sondern als kunstvoll verfremdete Museums-Exponate. Die Berliner Künstlerin Bettina Pousttchi stellt sie paarweise verschränkt in den Raum, mehrfach gestapelt oder auch isoliert. Alle Gitter aber sind ihrer handelsüblichen Form entzerrt, mit Kraft und Wucht verbogen, gequetscht, zerdreht – und anschliessend poliert. Bettina Pousttchi hat sich international einen Namen gemacht mit Installationen an der Schnittstelle von Kunst, Architektur und Fotografie, die historische und soziopolitische Fragen stellen. In der St. Galler Lokremise zeigt sie «Alltagsobjekte von stummer Autorität, die unsere Sehgewohnheiten und damit unser Verhalten beeinflussen», wie sie erklärt.
Prozesshaft gestaltete Arbeiten
Mit stummer Autorität meint Pousttchi jene den Objekten innewohnende Staatsgewalt, die Ver- oder Gebote nicht nur signalisiert, sondern mit Nachdruck durchsetzt. Gleiches gilt für jene Strassenpoller und Baumschutzbögen, die in ähnlich brachialer Transformation mit künstlerischer Veredelung zu sehen sind. Sie tragen Namen wie Felix, Elvira oder Albrecht, womit Pousttchi auf Strassennamen in ihrer Wahlheimat Berlin verweist, wo sie zum Alltagsbild gehören. Die 46-jährige Künstlerin ist in Mainz geboren, hat ihre Kindheit aber teilweise im Iran verbracht, woher ihre Familie stammt. Nach Studien in Düsseldorf und New York feierte sie bald grosse Erfolge. Sie war zweimal an der Biennale di Venezia zu sehen, bespielte die Fassade der temporären Berliner Kunsthalle oder gastierte an der Art Basel. Ihre Arbeiten sind oft prozesshaft gestaltet, wozu die Sichtbarkeit von materieller Transformation ebenso gehört wie historische Tiefe. «Ich schaffe Erinnerungsbilder», sagt Bettina Pousttchi etwa zur St. Galler Installation «World Trade». Zwei verfremdete Fotos der einstigen New Yorker Twin Towers hat sie auf Stoffbahnen von 21 Metern Länge drucken lassen und hängt sie als Blickfang in den Raum.
In der Lokremise nimmt sie Bezug auf deren Entstehungszeit, indem sie die Ausstellung mit Keramikkacheln eröffnet, die vermeintliche Jugendstil-Motive zeigen. Mit ihren Gitterobjekten thematisiert sie auch die Materialität der noch sichtbaren Eisenbahngleise und spielt mit der räumlichen Wucht der Kunstzone. In den 800 Quadratmeter grossen Remisen-Schnitz stellt sie lediglich 19 filigrane Objekte.
Figuren im Hinblick auf Theater entwickelt
Hauptinspiration war Bettina Pousttchi aber die thematische Klammer, die sich Kunstmuseum, Theater und Kino erstmals in dieser Art geben (siehe ganz unten). «Es gibt eine inhaltliche Verklammerung der Ausstellung mit dem neuen Stück im benachbarten Theater sowie dem Film-Programm im Kinok», erklärt Roland Wäspe, Ausstellungs-Kurator und Museumsdirektor in St. Gallen. Und Pousttchi stellt klar: «Meine Skulpturen habe ich im
Hinblick auf Andreas Sauters Theaterstück entwickelt, das teilweise inmitten der Ausstellung spielt.»
Andreas Sauters Stück thematisiert Staatsschutz und Überwachung, was wiederum in Bettina Pousttchis Ausstellungstitel «Protection» auftaucht. «Angesichts der Absperrgitter und Strassenpoller, aber auch in Erinnerung an die Folgen von 9/11 stellen sich übergreifende Fragen», sagt Roland Wäspe und nennt als Beispiel: «Wer schützt wen wovor?»
Die thematische Klammer übrigens entstand, als Wäspe die Ausstellung mit Bettina Pousttchi plante und Theaterdirektor Jonas Knecht ein Stück in Auftrag gab. Schon früher haben Kunstzone, Theater und Kino in der Lokremise gemeinsame Programme gestaltet. Eine derartig komplexe Zusammenarbeit sei aber erstmalig, betont Roland Wäspe.
Protection
Bis So, 17.6.
Kunstmuseum St. Gallen
Rahmenprogramm: www.kunstmuseumsg.ch
Machtsysteme: P-26 und Stasi auf der Bühne und im Kino
Die Ausstellung «Protection» des Kunstmuseums St. Gallen bietet die Klammer für ergänzende Veranstaltungen des Theaters St. Gallen sowie Kinok, Cinema in der Lokremise. «Lugano Paradiso oder So schön wie dieses Jahr hat der Flieder lange nicht geblüht» heisst das Auftragsstück von Andreas Sauter, das sich eines virulenten Stücks Schweizer Geschichte annimmt. Sauter verbindet die Fichen-Affäre der 80er-Jahre und die Aufdeckung der Geheimloge P-26 in einer historischen Collage. Er geht der Frage nach, in welchem Ausmass der Staat Menschen überwachen liess und welches die Nachwirkungen dieser staatlichen Schnüffelei bis in die Gegenwart sind.
Das Stück intensiviert die ästhetischen Fragestellungen von Bettina Pousttchis Ausstellung «Protection». Es überträgt sie auf die Mechanismen von Staatsschutz und klandestiner Überwachung, die im «gläsernen Menschen» ihre aktuelle Zuspitzung erfahren. Schauspieldirektor Jonas Knecht verlinkt in seiner Inszenierung Schauspiel, Musik und Tanz. Er schlägt einen direkten Bogen zur Ausstellung, indem der Schluss des Stückes inmitten der Exponate in der Kunstzone der Lokremise stattfindet.
Für den zweiten Bogenschlag widmet Kinok sein Programm dem Thema «Überwachung». Das Lokremise-Kino zeigt Klassiker und zu entdeckende Filme. Darunter «The Conversation» (1974) von Francis Ford Coppola über den Spitzel Harry Coal und das Drama «Das Leben der Anderen» (2006) von Florian Henckel von Donnersmarck über den tristen Alltag des Stasi-Lauschers Gerd Wiesler. Auch «Red Road» gehört dazu, das Debüt der britischen Regisseurin Andrea Arnold ebenfalls von 2006 über eine Überwachungszentrale in Glasgow.
Lugano Paradiso …
Premiere: Do, 22.3., 19.30
Lokremise St. Gallen
www.theatersg.ch
Filmreihe zum Thema «Überwachung»
Ab So, 1.4., Kinok
Lokremise St. Gallen
www.kinok.ch