Das Werk ist ein Rätsel, ein Bildrätsel. Die dunkle Frau erinnert an ein Gespenst. Das rote Band um ihren Leib lädt zu Spekulationen ein. Ein Zeichen der Fruchtbarkeit oder doch eher der Gewalt? Die Figur daneben lässt sich ebenfalls nur erahnen: Kläfft da etwa ein Hund? Klarer erscheint hingegen die blaue Schlange. Viele werden an das biblische Motiv der Verführung denken, die der Frau auflauern könnte.
Dieses facettenreiche Bild ist ein Werk des portugiesischen Künstlers José de Guimarães, dessen Name ebenfalls ein kleines Rätsel ist. Eigentlich heisst der 80-jährige Mann José Maria Fernandes Marques. Er stammt aus der nordportugiesischen Stadt Guimarães und hat deren Namen als Markenzeichen übernommen.
Das Würth Haus im sanktgallischen Rorschach am Bodensee zeigt nun sein Werk in einer grossen Retrospektive. Darunter sind Bilder aus dem Jahr 1996, aus de Guimarães’ Mexiko-Serie, die er mit dem etwas kryptischen Titel «Papeles Picados» («Gestanzte Papiere») versah.
Ein bereits vielfach geehrter Künstler
Die Rorschacher Ausstellung ist Teil des breit gefächerten kulturellen Engagements der Würth-Gruppe. Bis vor kurzem war die Schau in einer ähnlichen Lokalität im elsässischen Erstein, südlich von Strassburg, zu sehen. Sie ist dank der Verbundenheit zwischen dem Unternehmenspatron und Mäzen, Reinhard Würth, und dem Künstler zustande gekommen.
José de Guimarães gilt als einer der führenden Portugiesen für zeitgenössische Kunst und macht seit Jahren mit seiner Malerei, mit Skulpturen und monumentalen Installationen im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. 1990 erhielt er vom damaligen Präsidenten der Republik Portugal, Mário Soares, den Rang eines Kommandanten und den Orden Dom Henrique de Avis verliehen. Der so Geehrte gehört zu den wenigen Künstlern, denen zu Lebzeiten ein Denkmal gebaut wurde. Das in mächtigen Kuben gestaltete Kunstzentrum in seiner Heimatstadt trägt seinen Namen.
José de Guimarães schlug indes in jungen Jahren eine andere Laufbahn ein. Er trat 1957 in eine Militärakademie ein und liess sich später in Lissabon zum Ingenieur ausbilden. Allerdings packte ihn schon in jener Zeit die Lust an der Kunst, und er wandte sich gestalterischen Techniken zu – vom Malen bis zum Gravieren.
Der Offizier prägte das Kulturleben Luandas
Der portugiesische Künstler entdeckte bei seiner Arbeit den Reiz und die Inspiration des Exotischen. Zumal seine Heimat als ehemalige Kolonialmacht stets enge Beziehungen zu Asien und vor allem zu Afrika hatte. Diese führten zwar in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu langwierigen Kolonialkriegen in Mosambik und Angola, bereicherten aber immerhin das kulturelle Leben der einstigen Kolonialmacht.
José de Guimarães kam in den späten 60er-Jahren als Offizier nach Angola und setzte sich intensiv mit der lokalen Kunst auseinander. Anscheinend gelang es ihm damals wie vielen anderen portugiesischen Offizieren, sich den militärischen Pflichten zu entziehen und die Bestrebungen der Woyo-Völker zu unterstützen, die ihre künstlerische Eigenständigkeit gegenüber den europäischen Einflüssen zu wahren suchten. José de Guimarães prägte in der Folge das Kulturleben in Angolas Hauptstadt Luanda mit und kehrte erst mit dem Ende der Salazar-Diktatur nach Lissabon zurück.
Motive indigener Kunst sind omnipräsent
Er sammelte auf seinen Reisen stets künstlerische Objekte, die er mit seiner europäischen Perspektive weiterentwickelte, wie er sich in einer Dokumentation von Würth zitieren lässt: «Portugal segelte durch die Ozeane und fand neue Welten, vermischte und schuf neue Visionen – bis zu einem gewissen Grad ist meine künstlerische Arbeit diesen Hinweisen vergangener Seefahrer gefolgt, indem sie die Kulturen anderer Regionen einander näherbrachte.»
Diese Erfahrungen prägen sein Werk bis heute. Motive indigener Kunst sind in seinen Werken omnipräsent – in zahlreichen verspielten Variationen. So entwickelte de Guimarães mit seiner Art Brut eine Art «Universalsprache», die sein «Symbol-Alphabet» trefflich illustriert. Alte Kulturen und Modernität treten dabei in einen gestalterischen Dialog. So schaffte er sein eigenes künstlerisches Vokabular, das auf einem ideenreichen Spiel mit Zeichen beruht. Dieser und ähnliche Ansätze rücken ihn in die Nähe der Pop Art, der Lingua Franca zahlreicher Kulturen.
Die Ausstellung «José de Guimarães. Vom Künstler zum Anthropologen» im Haus Würth dokumentiert nun die Entwicklung dieses Grenzgängers. Ein Teil seiner afrikanischen Sammlung wird hier den eigenen Werken José de Guimarães gegenübergestellt.
José de Guimarães.
Vom Künstler zum Anthropologen – Sammlung Würth und Leihgaben
Würth Haus Rorschach SG
Bis So, 25.4.2021
Ort der Kultur
Das Würth Haus in Rorschach versteht sich als visionärer Ort der Begegnung, der Kultur, des Genusses und der Dienstleistungen. In diesem Zentrum des Fabrikanten Rein-hold Würth lockt neben den Tagungsräumen ein Restaurant mit dem trefflichen Namen «Weitblick» die Besucher. Es bietet einen Rundumblick über den Bodensee. Nach Chur und Arlesheim BL ist es der dritte Standort, an dem sich das Unternehmen Würth in der Schweiz kulturell engagiert.