Vermutlich hatten sich Wolken an die breiten Schultern des Wetterhorns geschmiegt. Denn das tun sie gerne, auch an Sommertagen. Für die Reisenden, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den beschwerlichen Weg nach Grindelwald auf sich genommen hatten, muss es ein überwältigender Anblick gewesen sein: die lieblich-grüne Talsohle, darüber die thronenden Berge. Diese erhabenen Schweizer Berge!
Die Alpen werden zum Sehnsuchtsort
In diese Zeit des frühen Tourismus nimmt das Kunst Museum Winterthur sein Publikum nun mit. Die Ausstellung «Souvenir Suisse» zeigt kolorierte Ansichten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. In die Schweiz reisten damals vor allem Gutbetuchte aus Europas Metropolen. Als Andenken brachten sie oft kleinformatige Bilder mit nach Hause. Solche sogenannten Meisterblätter stellt das Kunst Museum Winterthur aus – und beleuchtet damit nicht nur einen wenig beachteten Bereich der Schweizer Malerei, sondern auch ein Schweiz-Bild, das bis heute existiert.
Die Berge galten lange als unnütz, ungesund und gefährlich. Das änderte sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Immer öfter beschrieben Geografen, Botaniker und Künstler in Reiseberichten die Schönheit der Schweizer Berge. Der Berner Universalgelehrte Albrecht von Haller machte sie im Gedicht «Die Alpen» zum wahrhaftigen Paradies: Ein Ort der Freiheit, an dem Kühe saftiges Gras essen und die Bergbauern neben Wasserfällen auf dem Alphorn spielen.
Bei Jean-Jacques Rousseau wurde das einst Bedrohliche zum Erhabenen, zu dieser Mischung aus Lust und Schrecken: «Ich brauche Wildbäche, Felsen, Tannenbäume, schwarze Wälder, Berge […] und Abgründe an meiner Seite, die mir Angst bereiten.» Diesen Schriften folgte die gehobene Gesellschaft in die Schweiz. Die Alpen wurden zum Sehnsuchtsort.
Mit Touristen lässt sich Geld verdienen. Landschaftsmaler fertigten pittoreske Bilder, die sie als Souvenirs verkauften. Um den Produktionsaufwand gering zu halten, entwickelte der Winterthurer Maler Johann Ludwig Aberli in den 1760ern die handkolorierte Umrissradierung – eine Mischung aus Druckgrafik und Aquarell.
Menschen im Einklang mit der Natur
Bald taten es ihm zahlreiche sogenannte Kleinmeister in ihren Werkstätten gleich. Was sie malten, entsprach ganz dem Bild der Schweiz als Paradies. Gabriel Ludwig Lorys «Paysanne de Meyringuen» geht selbstbewusst und in gepflegter Tracht durchs wilde Haslital. In Simon Daniel Lafonds «Le Glacier superieur du Grindelwald & le Mont Wetterhorn» treffen Reisende lediglich auf friedliches Vieh an einer Tränke.
Ein selbstbestimmtes Volk, das im Einklang mit einer beeindruckenden Natur lebt – dieses Bild der Schweiz und ihrer Bewohner wurde mit den Meisterblättern in die Welt hinausgetragen. Und hält sich seither. Heute reisen Millionen von Menschen jährlich in die Innerschweiz oder das Berner Oberland. Beschwerlich ist ihr Weg in die Alpen längst nicht mehr. Einen Sehnsuchtsort suchen sie noch immer.
Souvenir Suisse – Meisterblätter der Stiftung Familie Fehlmann
Bis So, 2.2.
Kunst Museum Winterthur ZH