Der Ort: Kiew, Ukraine. Die Klänge: das elektrische Sirren einer U-Bahn, das Rattern von Waggonrädern, eine Ansage auf Ukrainisch. Die akustische Reise stammt aus einem Hörbeitrag von Kateryna Dziadok. Die junge Ukrainerin lebt seit gut zwei Jahren in Allschwil bei Basel und hat zusammen mit weiteren Deutschlernenden aus der Region am Projekt «Ohren auf Reisen» teilgenommen.
Die Initiative geht vom Verein Zuhören Schweiz aus. Die Idee: Klänge aus dem Alltag aufzeichnen und sie mit Gedanken zum jetzigen Zuhause und Erinnerungen an die frühere Heimat verbinden. Zu hören sind die Beiträge im Museum der Kulturen Basel neben experimentellen Klangcollagen und Hörstücken von Studentinnen und Studenten der pädagogischen Hochschule.
«Auf einmal konnte ich fühlen, worüber er sprach»
Wie klingen Migration, Vertrautheit, Zugehörigkeit? Am Telefon gibt Kateryna Dziadok Auskunft. Die junge Frau ist zunächst etwas nervös – es ist ihr erstes Interview. Doch bald schwingt die Begeisterung für «Ohren auf Reisen» in ihrer Stimme mit. «Ich bin Designerin und somit eine visuelle Person. Akustisch zu arbeiten, war für mich eine ganz neue Erfahrung – eine Art Übung in Flexibilität.»
Schon die Vorbereitungen zu ihrem eigenen Hörstück fand Dziadok spannend. Beim Anhören von Beiträgen früherer Projektrunden faszinierte sie deren Wirkung. Die Stimmen der Erzähler seien mit dem Erinnern immer lebendiger geworden, sagt sie. «Auf einmal konnte ich fühlen, worüber sie sprachen. Es war, als könne ich durch ihre Augen sehen – es ist spannend, dass Tonaufnahmen so etwas möglich machen.»
Für die einen ist es Lärm, für die andern Hoffnung
Für ihren eigenen Beitrag hatte Kateryna Dziadok zahlreiche Ideen. Nicht für alle hatte es Platz. Die Stimme ihrer Grossmutter in der Ukraine ist zu hören – Dziadok versucht, möglichst oft mit ihr zu telefonieren. Und den Fluglärm über Allschwil lässt sie durch ihren Beitrag dröhnen. Was die meisten Anwohner nervt, erfüllt Dziadok mit Zuversicht.Seit dem Abschuss einer Passagiermaschine 2014 wird die Ukraine von vielen Airlines umflogen.
Und dann ist da ja noch der Krieg. «Ich träume so sehr davon, dass der Himmel in der Ukraine bald wieder voller Zivilflugzeuge sein wird», sagt sie im Hörstück. Die Beiträge von «Ohren auf Reisen» berühren. Sie animieren die Zuhörer aber auch, eigene Geräuschassoziationen zu überdenken, im persönlichen Tonfundus zu wühlen. Wie klang eigentlich der Renault des Grossvaters, mit dem man als Kind so gerne mitfuhr? Und gab es da nicht diesen Radiosender in der fernen Stadt, in der man einst lebte? Wie hört es sich an, irgendwo zuhause zu sein?
Der Ort: Basel. Der Klang: das leise Ticken der Uhr im Sitzungszimmer des Vereins Zuhören Schweiz. Geschäftsleiterin Jacqueline Beck sitzt am grossen Tisch und sagt: «Klänge schaffen einen sehr direkten Zugang zu unseren Gefühlen. Hören wir ein bestimmtes Geräusch oder Lied, versetzt uns das sogleich an einen anderen Ort.» Aus diesem Grund liegt ihr auch das Projekt «Ohren auf Reisen» am Herzen: Es biete einen neuen Zugang zu Menschen mit Migrationshintergrund.
«Fragt man Menschen nach Geräuschen, öffnen sich ganz andere Türen zu ihren persönlichen Geschichten und Erfahrungen.» Der Verein Zuhören Schweiz wurde 2012 von der Kulturmanagerin Franziska Breuning und der Musikerin und Musikpädagogin Sylwia Zytynska gegründet. Das Ziel: Die Menschen sollen für die Bedeutung des Zuhörens als kulturelle und soziale Kompetenz sensibilisiert werden. In einer Welt, die stark durch visuelle Reize geprägt sei, stehe das Zuhören nur selten im Fokus, sagt Geschäftsleiterin Jacqueline Beck.
«Doch hinhören zu können, ist für das gesellschaftliche Miteinander wichtig. Und es kann zu mehr Achtsamkeit und zu einem bewussteren Umgang mit der Natur und auch mit unserer gebauten Umwelt beitragen.»
Projekte mit Schulkindern, Jugendlichen, Dementen
Welch spannende Projekte es ausser «Ohren auf Reisen» sonst noch gibt, entdeckt man auf der Internetseite des Vereins. Für das Projekt «So tönt unsere Welt» fingen Primarschulkinder aus allen Kantonen ortstypische Geräusche und Klänge ein.
Zusammen mit Musikerinnen und Audiogestaltern entstand daraus eine Hörlandkarte der Schweiz, auf der sich die Collagen aus lokalen Dialekten und traditioneller Musik, aus Postautohörnern und anderen wunderbaren Alltagsgeräuschen anhören lassen. In den «Hörclubs» wiederum schufen Schulklassen eigene Hörspiele. Und für «Ears at Work» spannte der Verein Zuhören Schweiz mit Institutionen der Arbeitsintegration zusammen. Jugendliche zeichneten Arbeitsgeräusche auf und verwandelten sie mit Musikerinnen zu eigenen Stücken.
Aktuell läuft die Pilotphase eines neuen Projekts für Menschen mit Demenz. Jacqueline Beck: «Wir versuchen, immer wieder an gesellschaftsrelevante Themen anzuknüpfen.» Die Teilnahme an «Ohren auf Reisen» hat Kateryna Dziadok nachhaltig geprägt. Die Designerin lernt seit einiger Zeit Programmieren und hat bereits Ideen, wie man Klangatmosphären künftig im Bereich der nutzerorientierten Gestaltung von Internetauftritten oder Programmen einfliessen lassen könnte.
Und was ihren eigenen Hörbeitrag betrifft, sagt sie: «Es ist schön zu wissen, dass man Erinnerungen und gute Momente über Geräusche erhalten kann.» Der Ort: wo auch immer Sie den kulturtipp jetzt gerade lesen. Der Klang: Hören Sie selbst hin. Wie klingt die Umgebung? Es lohnt sich.
Ohren auf Reisen
Bis So, 21.4.
Museum der Kulturen Basel
Verein Zuhören Schweiz
www.zuhoeren-schweiz.ch