Vorsicht vor der Künstlerin mit der Tufting-Pistole! Das Gerät schiesst zwar nur Wollfäden durch eine gespannte Leinwand. Gibt man sie einer Caroline Achaintre in die Hände, entstehen aber geradezu entwaffnende Kunstwerke: Arbeiten, die einen mit ihrer Gleichzeitigkeit der Möglichkeiten hypnotisieren. Abstrakter Wandteppich? Animistische Maske? Tor zu fremden Welten? Alles ist in Achaintres Textilkunst möglich!
Flauschiges, Verspieltes und streng Geometrisches
Von der französisch-deutschen Künstlerin stammt eines der rund 60 Werke, die in der Ausstellung «Textile Manifeste» im Zürcher Museum für Gestaltung zu sehen sind. Kunstgewerbliche Arbeiten, textile Bilder und Soft Sculptures führen die Besucherinnen und Besucher vom Bauhaus bis in die Gegenwart einmal quer durch die jüngere Geschichte der Textilkunst.
Und was da alles dick wattiert wuchert, ausfranst und sich flauschig breitmacht: Sophie Taeuber-Arps «Kissenplatte» von 1916 oder Gertrud Arndts «Flügeldecke» von 1927 wirken mit den strengen Geometrien und der verspielten Farbigkeit zeitlos. Elsi Giauques und Käthi Wengers Fadenskulptur «Colonne en couleurs qui chantent» von 1966 hängt kompromisslos frei im Raum. Und Lili Binder-Wipfs 3D-Illusion «Säulen» von 1986 entwickelt einen ungeheuren Sog.
Spannend sind auch die zeitgenössischen Positionen. Marie Schumanns einnehmende Arbeiten erscheinen wie schillernde Topografiemodelle. Dominique Lanz verwandelt textilen Abfall in so überirdische wie beunruhigende Soft Sculptures. Und Corinne Odermatts cartoonhafte Quilts sind so aberwitzig wie sozialkritisch.
Ganz klar: Spielfreude zeichnet diese Generation von Künstlerinnen und Künstlern aus. Ganz frei mischen sie Techniken und kulturelle Einflüsse, experimentieren mit Jacquardweberei und Tufting, mit Stickerei und Druckverfahren. Dabei entsteht eine Textilkunst, die Sehgewohnheiten herausfordert und die selbstbewusst Raum für sich einfordert.
Das war bei Weitem nicht immer so. Lange war die Textilkunst so etwas wie die ungeliebte Stiefschwester der bildenden Künste. Schliesslich galt Textilarbeit in der bürgerlichen Tradition primär als Zeitvertreib der tugendhaften Frau. Selbst die Direktoren des fortschrittlichen Bauhauses schoben Bewerberinnen wie Anni Albers und Gunta Stölzl reflexartig in die Weberei ab. Ab den 1960er-Jahren emanzipierte sich die Textilkunst zwar als eigenständige Gattung, doch das Interesse der Kunstwelt ebbte zu Beginn der 1990er-Jahre wieder ab.
«Textile Manifeste» ist denn auch im doppelten Sinn als Feier zu sehen: Einerseits blickt das Museum für Gestaltung zu seinem 150. Geburtstag auf die eigene Geschichte von Textilkunstausstellungen zurück. Andererseits steht die Schau auch im Zeichen einer Renaissance. Denn in den letzten rund zehn Jahren hat das Interesse an der Textilkunst stetig zugenommen.
Das Bauhaus-Jubiläum von 2019, eine neue Generation von Museumskuratorinnen und -kuratoren oder die allgemeine Näh- und Strickfreude der digitalen Menschen – Gründe für das Comeback gibt es wohl wie Stecknadeln im Nähkästchen. Hauptsache, die Textilkunst ist zurück im Rampenlicht. Mal vergnüglich flauschig, mal auch etwas unbequem – aber immer aufregend.
Textile Manifeste – Von Bauhaus bis Soft Sculpture
Fr, 14.2.–So, 13.7.
Museum für Gestaltung Zürich
Textilkunst im Aufwind
9. Europäische Quilt-Triennale
Fr, 23.5.–So, 14.9.
Textilmuseum St. Gallen
Luxese – Textilkunst zwischen Luxus und Askese
Sa, 29.3.–So, 2.11.
Singisen Forum Muri AG
Gib Stoff! Textile Bilder im Raum
Fr, 6.6.–So, 2.11.
Gewerbemuseum Winterthur ZH
Anni Albers – Constructing Textiles
Fr, 7.11.25–So, 22.2.26
Zentrum Paul Klee Bern