Die Erinnerungen sind noch hellwach an jene Zeiten, als es zu den wenigen Ferienpflichten gehörte, Ansichtskarten zu verschicken. Handfeste Schriftstücke also, die es mit Briefmarken, francobolli oder timbres zu bestücken und in die richtigen Briefkästen einzuwerfen galt. Heute lassen sich Feriengrüsse mit wenigen Klicks und Fingertipps erledigen, am Strand liegend oder in der Felswand baumelnd. Post- und Ansichtskarten tauchten erstmals Ende des 18. Jahrhunderts in Paris und Wien auf, in der Schweiz wurden sie ab 1870 verschickt. Dank dem boomenden Tourismus ab dem frühen 19. Jahrhundert und der Post wurden hier jährlich Hunderttausende von Postkarten versendet. So erhielt die Badener Industriellenfamilie Brown zum Beispiel von ihrem umfassenden Netz an Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern stapelweise Kartengrüsse aus den Alpen, aus maritimen Kurbädern oder gar aus Übersee. Aus heutiger Sicht historische Schätze, die glücklicherweise Eingang ins Familienarchiv fanden und nun im Museum Langmatt zu sehen sind. Zuerst schwarz-weiss, dann knallbunt Diese Villa in Baden – einst Sitz der grossbürgerlichen Familie – breitet den postalischen Fundus als Sonderausstellung im «Schaufenster Archiv» aus. Interessant ist diese Schau, weil sie gleich mehrere Aspekte der Sozialund Wirtschaftsgeschichte der letzten Jahrhunderte dokumentiert. Zum einen die Entwicklung der Postkarte an sich vom Kurzbrief zur Ergänzung durch schwarz-weisse, dann kolorierte Illustrationen bis hin zur knallbunten Ansichtskarte. Die Art der Illustrationen hat sich von der einst kunstvollen Naturschilderung zur Werbebotschaft gewandelt – inklusive mehr oder weniger origineller Gag-Nachrichten. Die Art der Kurzmitteilung schliesslich fokussiert sich seit jeher auf ein «Liebe Grüsse aus …», ergänzt um Botschaften, die oft auch den historischen Kontext spiegeln. Die Postkarte erlebt ein Revival Auch wenn Feriengrüsse heute meist digital verschickt werden, erlebt die Postkarte in den letzten Jahren ein überraschendes Revival. Spezielle Apps ermöglichen es Nostalgikern, elektronisch verfasste und mit eigenen Fotos verlinkte Grüsse an die Lieben zu Hause zu schicken. Die kulturtipp-Redaktion hat Kulturmenschen um einen Postkartengruss gebeten von einem Ort in der Schweiz, der einen kulturellen Kurzausflug lohnt.
Bis So, 18.9.
Museum Langmatt Baden AG
www.langmatt.ch
Sommertipps von Kultur-Menschen
Lukas Hartmann, Schriftsteller
«Von Interlaken aus mit dem Kursschiff nach Iseltwald, wo der Berner Künstler Victor Surbek See und Berge gemalt hat. Von dort aus auf dem Uferweg zum Hotel Giessbach. Beim Kaffee das Rauschen des Wasserfalls im Ohr.»
Albin Brun, Musiker
«Ein Unesco-Weltkulturerbe kann man ja kaum als Geheimtipp bezeichnen, aber tatsächlich habe ich kürzlich zum ersten Mal die Klosterkirche in Müstair besucht. Am besten lässt man sich die Geschichte des Klosters mitsamt den faszinierenden Fresken an einer Führung erklären. Und wenn man schon im Val Müstair ist, empfiehlt sich dringend eine Wanderung zum Lai da Rims.»
www.muestair.ch
Nicola Steiner, SRF-«Literaturclub»-Moderatorin
«Eines der eindrucksvollsten Ausflugsziele in der Schweiz ist Einsiedeln. Nicht weit vom berühmten Kloster mit der Schwarzen Madonna entfernt liegt die ‹Stiftung Bibliothek Werner Oechslin›, eine einzigartige Wunderkammer mit bibliophilen Kostbarkeiten von der Mathematik über die Philosophie bis zur Theologie, Physik und Astronomie – Raritäten zum Schauen, Anfassen und Lesen (sofern man alte Sprachen spricht), in einem wunderschönen Bau von Mario Botta, den man einfach besucht haben muss.»
www.bibliothek-oechslin.ch
Beat Schlatter, Komiker & Postkarten-Sammler£
«Das Emma Kunz Zentrum in Würenlos ist mein Geheimtipp für alle, die noch nie dort waren. Emma Kunz war eine Künstlerin sowie eine Naturheilerin. In Würenlos entdeckte sie einen Kraftort, der glücklich macht. Neben der Heilgrotte befindet sich das Museum, in dem man eine Auswahl ihrer Original-Pendelzeichnungen bewundern kann. Wer vertieft in die interessante Welt der Emma Kunz eintauchen möchte, dem empfehle ich zur Erleuchtung vor Ort unbedingt, in den Audioguide hineinzuhören. Er ist verständlich, lehrreich und humorvoll.»
www.emma-kunz.com
Anna Pieri Zuercher, Schauspielerin & «Tatort»-Kommissarin
«Mein Sommertipp sind Open-Air-Kinos! Mein absoluter Favorit ist das Kino auf der Piazza Grande in Locarno. Aber es gibt Open-Air-Kinos in fast jeder Region der Schweiz. Was gibt es Schöneres, als an einem schönen Sommerabend draussen zu sitzen und einen guten Film zu sehen?»
www.locarnofestival.ch
Zora del Buono, Schriftstellerin
«Auf der Alpe di Brusino leben zwei der ältesten Bäume der Schweiz. Noch beeindruckender als die herrlich knorrigen Kastanien ist aber der Berg, auf dem sie stehen. Der Monte San Giorgio ist Unesco-Welterbe, in seinem Innern verbergen sich mehr als 200 Millionen Jahre alte versteinerte marine Tiere. Hier lag nämlich einst ein subtropisches Meer. Das Fossilienmuseum von Meride ist ein Paradies für Leute, die mal Abstand von der Menschheit brauchen und sich lieber gewaltigen Sauriern wie dem Ticinosuchus ferox zuwenden möchten.»
www.fossilienmuseum.ch
Franz Hohler, Schriftsteller
«Die Ausstellung ‹Alpen Resort Avers› im Nüwa Hus in Avers Cresta zeigt, was aus einem Hochtal, das sich der Landwirtschaft und dem sanften Tourismus verschrieben hat, hätte werden können, wenn das gigantische Projekt aus den 60ern, eine Retorten-Wintersportstadt mit 10 000 Betten und 17 Liften, verwirklicht worden wäre. Und Postkarten gibts im ‹Volg›.»
www.hexperimente.ch