Da macht sich einer lustig über die Kunst. Oder auch nicht. Jedenfalls ist dieser zerschnittene Stofffetzen ein ungewöhnliches Requisit für eine Museumswand. Und noch ungewöhnlicher ist der Titel des Werks: «My Love to Etienne». Versteckt sich da eine Liebeserklärung an einen Freund oder eher eine Drohung hin zum Zerstörerischen? Der Betrachter weiss es nicht und wird es vermutlich nie wissen.
Kosmopoliter Nomade
Der deutsche Künstler Michael Buthe (1944–1994) hat dieses Textilstück 1969 geschnitten. Es ist nun in der neuen Retrospektive über sein Schaffen im Luzerner Kunstmuseum zu sehen. Die Ausstellung vermittelt einen Überblick der gesamten Arbeiten dieses ungewöhnlichen Gestalters, der in der Sammlung des Hauses mit etlichen Werken vertreten ist. Etwa «mit Installationen, die in ihrer Üppigkeit alle Sinne des Publikums ansprechen …», verspricht der Ausstellungstext.
Buthe war tatsächlich ein sinnlicher Ideenmensch. Und vor allem ein vielfältiger, der sich als Kunstmaler, Schriftsteller und speziell als Kritiker des traditionellen Kunstbetriebs verstand. Seine Inspirationen holte er am liebsten in Marokko, wo er Jahr für Jahr etliche Monate lebte. Die Exotik des Maghreb prägte ihn ebenso wie die Gestaltungskraft der Afrikaner, der er auf Reisen quer durch den Kontinent begegnete. Die grelle Sonne durchzieht sein Werk als eine unerschöpfliche Quelle: «Sie ist für mich, wie alle Bilder, ein Gebrauchsgegenstand zum Sehen, zum Fühlen, zum Träumen, zum Sich-etwas-Klarmachen», heisst es in einem Kommentar des Künstlers über sein eigenes Werk, den das Luzerner Museum zitiert. Der «Spiegel» versteht Buthe als einen «legendären kosmopolitischen Nomaden zwischen Orient und Okzident, der manche befremdete oder zu verächtlichem Spott veranlasste, andere zum Nachdenken».
Liebling der Szene
Er schien in die Welten von Tausendundeiner Nacht zu entschweben, etwa mit seinem Märchen «Die wunderbare Reise des Saladin Ben Ismael». Und so entwickelte er seine Neigung zum Fantastischen weiter zu einer Faszination für das Esoterische – mit den Ingredienzen Drogen und Schwulensex.
Buthe war während Jahren ein Liebling der deutschen Kunstszene: Seine provozierenden Werke packten die Kritik, die ihn der Minimal Art oder der Arte povera zuordnete. Zudem war der Künstler ein «charismatischer Selbstdarsteller», wie ihn ein deutscher Kritiker beschrieb. Schon im Alter von 50 Jahren verstarb er aufgrund eines Leberleidens.
Michael Buthe schaffte den Durchbruch dank dem legendären Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann, der den jungen Buthe in die Kunsthalle Bern einlud, um 1969 an der berühmten Ausstellung «When Attitudes become Form» mitzumachen, wo sämtliche klingenden Namen der avantgardistischen Kunst dabei waren – von Joseph Beuys über Walter de Maria bis Sol LeWitt. Drei Jahre später war Buthe an der Documenta in Kassel zu sehen.
Michael Buthe (1944–1994). Retrospektive
Sa, 31.10.–So, 31.1. Kunstmuseum Luzern