Ja, Design kann auch böse sein. Wir sprechen hier nicht von der kitschigen Stehlampe oder dem unhandlichen Besteck. Es geht um sogenanntes Hostile Design, im Deutschen auch gerne Anti-Obdachlosen-Architektur genannt. Städte unterteilen beispielsweise die Sitzflächen von Parkbänken mit Bügeln – so können sich Obdachlose nicht mehr zum Schlafen hinlegen.
Einen Gegenentwurf zu dieser umstrittenen Gestaltungspraxis zeigt der Zürcher Architekt und Designer Charles O. Job an der diesjährigen Design Biennale Zürich. Doch seine Parkbank «Here B & B» dürfte nicht minder kontrovers diskutiert werden, ist sie doch Werbefläche, Sitz- und Schlafplatz in einem.
Genau darum soll es an der Design Biennale Zürich auch gehen: Über die Welt nachdenken und diskutieren. Schliesslich wurde die Veranstaltung ins Leben gerufen, um zu zeigen, dass Design viel mehr ist als teure Möbel. «Design muss nicht immer ein Massenprodukt sein», sagt Mitbegründerin und Co-Kuratorin Gabriela Chicherio. «Mit der Design Biennale möchten wir Projekten jenseits der Kommerzialität eine Bühne bieten; Projekten, die forschen, die auf Themen aufmerksam machen und Innovationskraft zeigen.»
Zum dritten Mal bietet die Design Biennale nun Gestaltern und Gestalterinnen eine Plattform, dieses mal im Alten Botanischen Garten im Herzen der Stadt Zürich. Die Schau dauert neu drei Wochen und ist gratis. Zudem bieten die Initianten täglich Führungen an. Sie erhoffen sich so, noch ein breiteres Publikum zu erreichen. «Clash» lautet das diesjährige Motto. Laut Gabriela Chicherio besteht die Idee darin, Projekte zu zeigen, die Widersprüche in unserer Gesellschaft ausloteten – digital und analog, drinnen und draussen.
Wandelbare Parkbank, auf der man schlafen darf
Von diesem Thema fühlte sich Charles O. Job angesprochen. «Here B&B (Bench & Bed)», sein Entwurf einer Sitzbank, verfügt über eine hohe Rückenlehne mit Seitenflügeln, die sich wie ein Dach über die Sitzfläche klappen lässt. Aus der Sitz- wird so bei Bedarf eine wettergeschützte Schlafgelegenheit. Doch das ist noch nicht alles, denn die umklappbare Rückenlehne dient eben auch als Werbefläche.
Vieles, was Charles O. Job im vergangenen Jahr beschäftigte, steckt in diesem Entwurf. Zum einen die Multifunktionalität von Möbeln, die im Corona-Shutdown ein Thema geworden sei, so der Architekt und Designer. Zum anderen auch die wachsende soziale Ungleichheit, die Bedeutung des öffentlichen Raums und die Wohnraumknappheit. Schliesslich verweist der Name der Bank auch auf Airbnb, das umstrittene Vermietportal für Wohnungen.
Jobs Idee: Die Werbung auf der Lehne finanziert die Infrastruktur, die wiederum jemandem als temporärer Schlafplatz dienen kann. Ein gewagtes Konzept. Eine werbefinanzierte Obdachlosenhilfe kann durchaus auch als zynisch aufgefasst werden. Doch Charles O. Job möchte, dass man seinen Entwurf mit einem Augenzwinkern ansieht: «Diese Bank ist nicht die Lösung des Armutsproblems. Sie ist ein Plädoyer für mehr Gemeinsinn.» Ihn habe es immer interessiert, dass Design gesellschaftliche Diskussionen auslösen könne. «Ich kann den Scheinwerfer auf etwas richten: Erstens müssen wir als Gesellschaft aufpassen, dass wir unseren öffentlichen Raum nicht vernachlässigen. Zweitens können wir nicht so tun, als ob Obdachlosigkeit nicht existierte.»
Alter Botanische Garten als idealer Schauplatz
Der Alte Botanische Garten in Zürich ist ein Ort wie geschaffen, um Gedanken zu aktuellen Gesellschaftsthemen anzustossen. Denn hier treffen städtischer Raum, dichte Natur und die Künstlichkeit einer modellierten Parklandschaft aufeinander.
Da passt auch ein weiteres Projekt bestens hin, das es der Co-Kuratorin Gabriela Chicherio angetan hat: «Rooting». Die Bodenplatten des Designduos Andrea Anner und Thibault Brevet sind von tiefen Rillen durchzogen und mit Löchern versetzt. Diese Struktur erlaubt es Gräsern und Moosen, in den Zwischenräumen zu wachsen. Gleichzeitig erfüllen die Platten die Normen und Vorschriften der Barrierefreiheit, sind also beispielsweise rollstuhlgängig. «Mit diesen Platten lässt sich ein barrierefreier Weg auslegen, ohne dass dabei die Natur versiegelt wird», so Chicherio. «Das Projekt zeigt, welch völlig neue Entwürfe man hervorbringen kann, wenn man das Thema Barrierefreiheit wirklich einmal ins Zentrum stellt und nicht einfach nachträglich noch irgendwo eine Rollstuhlrampe hinbaut.»
Verspielt poetische Treppenskulptur
Wie eine Kunstinstallation mutet dagegen Rafael Koutos «Crocodile tears won’t stop climate change» an. Bunte Eiswürfel geben schmelzend ihr Orange, Blau und Rot an den weissen Stoff ab. So viel steckt da drin: Klimawandel und steigende Temperaturen, Wäschefärben als traditionell gemeinschaftliche Tätigkeit im öffentlichen Raum. Biennale-Besucher sind denn auch eingeladen, am Eröffnungstag gebrauchte Kleider zum Färben mitzubringen.
Die Treppenskulptur «Infinity» schliesslich besteht aus Fichtenholz, das in nachhaltig bewirtschafteten Wäldern geerntet wurde. Die komplexe Struktur zeigt inmitten des fast 200-jährigen Baumbestands, welche Möglichkeiten die computergestützte Verarbeitung im Bereich Holzbau heute bietet. Und die Firma, die «Infinity» herstellte, wird deren Bestandteile nach der Ausstellung im Bau und zur Wärmeproduktion weiterverwenden. Die begehbare Skulptur in Form einer Unendlichkeitsschlaufe ist somit nicht nur verspielt poetisch, sondern verweist auch auf die Notwendigkeit, beim Bauen vermehrt in Kreisläufen zu denken. Eine Treppe ist eben nie einfach eine Treppe. Design ist nie einfach nur Design.
Design Biennale Zürich
Do, 12.8.–So, 5.9.
Alter Botanischer Garten Zürich
Informationen zu den Führungen: www.designbiennalezurich.ch