Die Bildbeschriftungen lesen sich wie Agenten-Romane: «Nordkoreanische Handstickerei, Seidenfäden auf Baumwolle, Mittelsmann, Geheimcode, Bestechungsgeld, Angst, Holzrahmen, ca. 2200 Stunden /2 Personen.» Mit diesen Beschrieben legt die südkoreanische Künstlerin Kyungah Ham den Betrachtern ihrer Werke ihre einmalige künstlerische Praxis offen: Die 55-Jährige lässt ihre Entwürfe nach Nordkorea schmuggeln, wo sie von Künstlern gestickt werden. Das ruft die Grenzdramen des Kalten Krieges in Erinnerung. Denn Ham wird ihre Partner wohl nie persönlich treffen. Ihre grossformatigen Stick-Bilder von Kristallleuchten und Atompilzen sind ein Versuch, mit den Menschen in einem abgeschotteten Land zu kommunizieren.
Startende Raketen und ein roter Himmel
Hams Arbeiten verkörpern gewissermassen den Kern der neuen Ausstellung im Kunstmuseum Bern. Die Schau «Grenzgänge» zeigt Gegenwartskunst aus Nord- und Südkorea; über 70 Werke aus der Sammlung Sigg, die für einen Moment zwei Staaten vereinen, die seit 68 Jahren getrennt sind. Nach drei Jahren Krieg unterzeichneten Nord- und Südkorea 1953 am 38. Breitengrad ein Waffenstillstandsabkommen. Seither durchtrennt die 250 Kilometer lange und vier Kilometer breite entmilitarisierte Zone die koreanische Halbinsel. Nördlich und südlich davon haben sich zwei Staaten entwickelt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Hier ein diktatorisch regiertes, kommunistisches Land, dort ein demokratischer Industriestaat.
In «Grenzgänge» gibt es keine Demarkationslinie, kein 38. Breitengrad steht als Symbol für Trennung. Kunstwerke von Nord- und Südkorea stehen sich hier gegenüber. Und doch sind die ideologischen Unterschiede unverkennbar. Die Werke aus dem Norden sind deutlich in der Tradition des Sozialistischen Realismus verankert. Dieser Stil verbreitete sich ab den 1930ern aus der Sowjetunion in den kommunistischen Staaten und brachte meist monumentale Gemälde hervor. Oft zeigen sie Arbeiter, die hart, aber zufrieden für eine glorreiche Zukunft schuften. In der nordkoreanischen Ausprägung sieht das bisweilen martialischer aus: Auf dem Werk «The Missiles» von Pak Yong Chol schauen die beiden früheren nordkoreanischen Führer Kim Il Sung und Kim Jong Il vor einem feuerroten Himmel Raketen beim Starten zu (siehe Bild oben). Ganz der Propaganda ist das Bild verpflichtet. Kuratorin Kathleen Bühler möchte die Besucher dennoch ermutigen, diese Kunst offen zu betrachten: «Es geht darum, die eigene Wahrnehmung zu erweitern – sich einer Maltradition zu nähern, die wir als rückständig betrachten.» Nicht jedem wird das einfach fallen. Geprägt von einem freiheitlichen Kunstbegriff, sind wir solchen Pathos in der Moderne nicht mehr gewohnt. Die Kunstgeschichte hat uns gelehrt, diese auf Effekt getrimmten Darstellungen von Heroismus als Diktatoren-Kitsch zu belächeln. Zuletzt lässt sich auch die Politik nicht ausklammern: Können wir den restriktiven Staat hinter den Bildern ausblenden? Bühler betont, es liege ihr fern, die üblen Taten des nordkoreanischen Regimes zu ignorieren oder schönzureden. Das Publikum müsste auch nicht von eigenen politischen und moralischen Werten abrücken. «Dennoch können wir versuchen, uns über die Kunst der Tragödie des koreanischen Binnenkonflikts zu nähern; versuchen, uns in diese Kunstschaffenden zu versetzen und ihre Leistung zu würdigen.» Der Versuch ist es wert: Der Realismus dieser Malerei beeindruckt.
Ambivalenzen aushalten können
Zu einem offeneren Blick lädt auch die Auswahl südkoreanischer Kunst ein. Die Arbeiten animieren dazu, nicht nur die koreanische Halbinsel aus einem anderen Winkel zu betrachten, sondern auch unser eigenes, westlich-kapitalistisches System. Denn sie erzählen vom Trauma der Trennung, von der antikommunistischen Propaganda, von Identitätsfragen und den Schattenseiten des Wirtschaftsbooms. Sea Hyun Lees Landschaftsgemälde aus der Serie «Between Red» etwa evozieren gleichzeitig ländliche Idylle und Trostlosigkeit der entmilitarisierten Zone. Lees Kindheitserinnerungen überschneiden sich mit jenen an den Militärdienst, denn die monochrome Ausführung imitiert den Blick durch ein Nachtsichtgerät. Bemerkenswert ist die Farbwahl: Anstatt fluoreszierend grün sind die Bilder rot. In Südkorea ein Tabubruch.
Ähnlich vielschichtig zeigt sich Lee Lee Nams «Digitalized Geumgangjeon Do», das den Kumgangsa in Serie zeigt. Der Berg und Sehnsuchtsort ist seit der Trennung der Halbinsel für Südkoreaner nicht mehr erreichbar. Doch Nam stellt ihn als ein Opfer von Südkoreas Wachstum dar: Immer mehr Baukräne, Hochhäuser und Leuchtreklamen spriessen an den Hängen.
Die Arbeiten von Unkyung Hur schliesslich lesen sich wie Plädoyers gegen jegliche Grenzen. Ihre Serie «Botanimal» zeigt wissenschaftliche Zeichnungen von Pflanze-Tier-Mischwesen, die das traditionell westliche Konzept einer rigiden Typologien-Ordnung unterwandern. Ihre in traditioneller Technik erstellten Lack-Gemälde der Reihe «Scopic Image» (siehe Bild links)wiederum lassen einen rätseln: Blicken wir durch ein Mikroskop oder auf die Oberfläche eines Planeten?
So besteht die Leistung von «Grenzgänge» vor allem darin, den Besuchern zu zeigen, dass sich Ambivalenzen aushalten lassen. Was, wenn nicht alles an Nordkorea schlecht ist? Was, wenn auch der Kapitalismus und unsere Demokratie Schwächen aufweisen? Ja, was dann?
Grenzgänge – Nord- und südkoreanische Kunst aus der Sammlung Sigg
Fr, 30.4.–So, 5.9. Kunstmuseum Bern
Weitere Ausstellungen über Nordkorea
In Bern befassen sich noch zwei weitere Ausstellungen mit der koreanischen Halbinsel. Das Alpine Museum zeigt Filme aus dem nordkoreanischen Alltag, die ein Filmteam des Museums vor zwei Jahren während einer kurzen Phase des innerkoreanischen Tauwetters drehen konnte. Und die Bibliothek am Guisanplatz gewährt einen Einblick in die Beobachtermission der Schweizer Armee, die seit 1953 an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea tätig ist.
Let’s Talk about Mountains – Eine filmische Annäherung an Nordkorea
Bis Sa, 3.7., Alpines Museum Bern
Erinnerungen aus Korea. Alltag, Kultur und die Schweizer Friedensförderung
Bis Fr, 25.2.2022, Bibliothek am Guisanplatz Bern