Einst herrschte in der Kunst ein unverkrampftes Verhältnis zum Kopieren. Davon zeugt Paul Sandbys Gemälde «A Lady Copying at a Drawing Table» von 1765, das eine junge Frau beim Abzeichnen eines Porträts zeigt. Schliesslich gehörte das Nachahmen lange zu jeder Kunstausbildung. Heute diskutiert die Gesellschaft über kulturelle Aneignung, am überhitzten Kunstmarkt huldigt man dem Fetisch des Originals, und das Kopieren scheint suspekt wie lange nicht mehr.
Was ist eigentlich Originalität?
Doch ohne geht es in der Kunst nicht – davon ist das Kunstmuseum Solothurn überzeugt und feiert mit seiner Ausstellung das Nachahmen, Zitieren und Persiflieren. «Ja, wir kopieren!» vereint 40 künstlerische Positionen aus den letzten 50 Jahren und aus aller Welt. In der Kunst veränderte sich die Einstellung zum Kopieren während des 20. Jahrhunderts immer wieder.
Was ist originell?
Bei den Künstlerinnen und Künstlern der Avantgarde war das Kopieren verpönt: Wer gegen bestehende Traditionen anmalt, muss diese auch nicht nachahmen. Einen neuen Geist brachten wiederum die 1960er mit der PopArt. Deren Vertreter zitierten und persiflierten konsequent die bestehenden Bilderwelten der Konsumkultur.
Noch einen Schritt weiter ging schliesslich die US-amerikanische Künstlerin Elaine Sturtevant (1924– 2014), die in der Schau in Solothurn vertreten ist. Sturtevant replizierte zum Beispiel Andy Warhols «Flowers» mit dessen eigenen Schablonen, versah die Kopien jedoch mit ihrer Signatur. Beim Betrachter löst das einiges aus: Ist das wirklich neu? Und was ist eigentlich Originalität?
Solche und weitere Fragen wirft die Ausstellung auf und schlägt dabei immer wieder Brücken über die Jahrzehnte. Was die Besucher dabei zu sehen bekommen, ist bisweilen sehr politisch. Die Argentinierin Nicola Costantino stellt Diego Velázquez’ Gemälde «Las Meninas» nach, um heutige Klassenverhältnisse zu kommentieren. Die Afroamerikanerin Stephanie Dinkins setzt ihren humanoiden Roboter «BINA48» ein, um auf den von KI reproduzierten Rassismus aufmerksam zu machen. Und Anna Stüdeli arrangiert Gesichtspartien aus der Werbung neu und stellt so deren Körperbilder infrage.
Hierarchien werden mit Kopien infrage gestellt
Anderes wirkt da auf den ersten Blick vergnüglicher. Bastien Aubrys Tromp-l’Œil-Arbeit «Crocks in the Night» verzerrt einen eh schon grotesken Crocs-Pantoffel vollends. Gina Fischli wiederum hat Josef Albers «Huldigung an das Quadrat» mit Glitzerfarbe auf Sperrholz nachgemalt. Wer kopiert, stellt eben auch Hierarchien infrage. Und das ist nie verkehrt.
Ja, wir kopieren! Strategien der Nachahmung in der Kunst seit 1970
So, 21.5.–So, 27.8. Kunstmuseum Solothurn