Sex in einer Wahlkabine. Der Slogan mag erotische Fantasien wecken; vor allem aber macht er sich über die Demokratie lustig: Lieber Begierde statt politisches Bekenntnis. Diese Aussage lässt sich in das Werk «Campaign Button» des 69-jährigen US-amerikanischen schwulen Künstlers John Waters interpretieren, das in der neuen Ausstellung des Zürcher Kunsthauses «How much can you take?» zu sehen ist. Die Schau stellt ihn mit Filmfotografien, plastischen Arbeiten und Texten vor: «Er hat wie kein anderer die Ästhetik des unabhängigen Kinos geprägt», schreibt das Kunsthaus als Begründung und würdigt seine «radikale Bildsprache».
Anstössige Filme
Schnösel Waters kommt aus gutbürgerlicher Familie und hat sich zumindest in seinen jüngeren Jahren gerne als ganz Schlimmer inszeniert. Während Jahren verstand er es, das Establishment mit anstössigen Low-Budget-Filmen zu schockieren – «Trash» als Kunst. Und noch heute ist Waters stolz, dass er aus jeder Schule geschmissen wurde, die er besucht hat, wie er in einem Radiointerview sagte. Später wandte er sich dem Fotografieren zu, etwa indem er TV-Bilder mit der Kamera aufnahm.
Legendär ist bis heute der Film «Pink Flamingos» mit seinem Partner Divine in einer Travestitenrolle: Zwei Familien streiten um den Ehrentitel «Filthiest person alive» und lassen sich dazu laufend neuerliche Widerlichkeiten einfallen. Verzehr von Hundekot inklusive. Das war 1972 und sorgte damals für Furor. Heute ist das Schockpotenzial wesentlich geringer, zudem liess sich Waters vom Establishment domestizieren. Wie so mancher, der auf ganz radikal macht, wollte auch er geliebt werden. So strahlte er sehr in die Kameras, als sein Film «Hairspray» 2003 einen Tony Award erhielt. Und noch mehr dürfte ihn die erfolgreiche Musical-Version des Films am New Yorker Broadway gefreut haben. «Zwar baute ich meine Karriere auf Hass auf, aber ich wurde nicht von denjenigen Leuten verabscheut, die meine Arbeiten mögen sollten», sagte er der englischen Zeitung «Guardian». Dieses Publikum wurde immer breiter; heute gehört Waters selbst zum US-amerikanischen Kulturestablishment.
Das Schwulsein ist Teil seiner Inszenierung: «Aber ich wurde noch nie in einem Interview dazu gefragt, weil sie Angst hatten, ich würde mich gleich zur Nekrophilie bekennen», sagte er dem US-amerikanischen Radiosender Sirius. Waters kokettiert genauso mit der Todessehnsucht wie der Homosexualität.
Blutrünstige Bücher
Eher überraschend bekundet der Künstler seine Liebe zu Büchern. Er besitzt neben den Klassikern eine umfangreiche Sammlung blutrünstiger Taschenbücher, viele davon in einer pornografischen Version – zum besseren Verständnis, versteht sich. Selbst ein klassisches Werk kapiere nur, wer eine pornografische Parodie darauf gelesen habe. Für viele mag dieses Literaturverständnis ungewöhnlich sein, genau das ist im Sinn von Waters.
«John Waters – How much can you take?»
Fr, 14.8.–So, 1.11. Kunsthaus Zürich