Es gibt Künstler, die arbeiten so frenetisch, als wüssten sie, dass ihnen nicht viel Zeit bleibt. Hermann Scherer (1893–1927) war so einer. Die drei Jahre vor seinem Tod mit 34 Jahren waren wohl die produktivsten seiner Karriere. Angespornt von einer Edward-Munch-Ausstellung und seiner Bekanntschaft zu Ernst Ludwig Kirchner, hatte sich Scherer Mitte der 1920er zu einer der zentralen Figuren der Schweizer Expressionisten entwickelt. In seinen Landschaftsgemälden setzte der gebürtige Deutsche topografische Begebenheiten in Farbnuancen um. In seinen Selbstbildnissen wirkt er geplagt: eingefallene Augen, gelbliches Gesicht; ein gekrümmter Wandernder, den die verzerrten Landschaften bedrängen.
Sexualität, Exzess und Existenzängste
Vor allem die leuchtenden Landschaftsbilder überschatten gerne Hermann Scherers übriges Œuvre aus diesen Jahren. Denn der ausgebildete Steinmetz war eben auch in seiner Arbeit mit Holz virtuos. Davon können sich nun die Besucherinnen und Besucher des Kunstmuseums Basel überzeugen. Dieses zeigt in der neuen Ausstellung «Hermann Scherer – Kerben und Kanten» Holzschnitte und Holzskulpturen des Künstlers. Zudem werden erstmals Druckstöcke ausgestellt, die seit über 80 Jahren im Museum lagern.
Die Sujets, die man in Scherers Holzarbeiten antrifft, sind vertraut. Berglandschaften und Tessiner Täler, Akte, Figurengruppen und etliche Variationen seines Selbstbildnisses. Faszinierend ist jedoch, welche Nuancen Scherer diesen Arbeiten verlieh. Seine Holzskulpturen zeichnen sich durch ungewohnt weiche Linien aus. Diese verdeutlichen die Verletzlichkeit der meist nackten Figuren sowie der Paare, die sich da aneinanderschmiegen. In seinen Holzschnitten von Landschaften wiederum wechseln sich gewohnt kantige Formen mit Fliessendem ab. Was Scherer in seiner Malerei über Farbflächen voneinander trennte, separiert er hier über Texturen: fliessende Hügelketten und schroffe Felsen, diesige Wetterlagen und liebliche Wiesen. Anderswo lässt er in den nächtlichen Gassen einer Dorfansicht gekonnt Licht und Schatten in einen Dialog treten.
Von den mal kräftig entschlossenen, mal überlegt platzierten Hieben, mit denen Hermann Scherer seine Druckstöcke bearbeitete, zeugen schliesslich auch seine Porträts. Zwischenmenschliche Spannungen, Liebe und Sexualität, Exzess und Existenzängste finden sich in diesen Arbeiten. Dabei lohnt es sich, besonders die Gesichter seiner Sujets genau zu mustern. Denn auf diesen zeichnen feine Schraffuren und tiefe Furchen ganze Topografien der Gefühle. Jede von Hermann Scherers Kerben sitzt, jede steht für eine Emotion.
Hermann Scherer – Kerben und Kanten
Sa, 15.1.–Mo, 18.4. Kunstmuseum Basel