Oliver Gerlach ist zwar für den Zürcher Stadtwald verantwortlich, doch am Waldweiher auf dem Käferberg haben die Enten das Sagen. Ein halbes Dutzend von ihnen fallen dem Forstingenieur gerade schnatternd ins Wort. Er aber lässt sich nicht beirren: «Dieser Ort ist ein gutes Beispiel für die verschiedenen Ansprüche, denen der Stadtwald genügen muss.» Der Rastplatz am Weiher ist der erste Halt, den Gerlach auf seiner kleinen Tour durch den Käferberg-Wald einlegt. Obwohl an diesem Nachmittag die Sonne scheint, ist es noch kühl. Auf dem Wasser treibt eine Schicht aus milchigem, dünnem Eis. Gerlach trägt eine feste Leuchtjacke mit der Aufschrift «Grün Stadt Zürich». Er zeigt auf eine der Feuerstellen und blickt dann auf die gegenüberliegende Seite des Weihers; dort ist hinter einigen Schilfreihen ein Zaun auszumachen. «Es ist ein Spagat zwischen Erholung und Naturschutz.»
Biker, Forstwirtschaft und Naturschutz
Auf dem nahen Waldweg ziehen während des Gesprächs ein paar Jogger vorbei. Vereinzelt sind Spaziergänger zu sehen – mit und ohne Hund. Diese Ruhe ist keine Selbstverständlichkeit. In Zürich macht der Wald ein Viertel der Stadtfläche aus; ein Naherholungsgebiet für Mountainbiker, Wanderer und partywütige Jugendliche. Aber eben auch ein Ökosystem, das bewirtschaftet wird, das geschützt werden will. Dass dies alles mit möglichst wenig Spannungen geschieht, dafür sorgen Oliver Gerlach und sein Team. Sie sind für jene 60 Prozent des Stadtwaldes verantwortlich, die der Stadt Zürich gehören. Steigende Besucherzahlen während Corona, nächtliche Waldläufe während der Brutzeit, Abfall und Lenkung von Besucherströmen – über die Herausforderungen seines Arbeitsalltags erzählt Forstingenieur Gerlach mit viel Pragmatismus. Den braucht es wohl in seiner Funktion.
Unsere Beziehung zum Wald ist wechselhaft
Denn das Thema Wald ist emotional. Schon lange haben wir nicht mehr so viel über ihn gesprochen wie im Zusammenhang mit dem Klimawandel und den Hitzesommern der letzten Jahre. Unserem Verhältnis zu diesem Ökosystem geht nun auch das Landesmuseum Zürich in einer neuen Ausstellung «Im Wald – Eine Kulturgeschichte» nach. Literarische Texte, Mittelalterliche Illustrationen, Fotos und Gemälde zeugen von einer wechselhaften Beziehung zwischen den Menschen und dem Wald. Zeichnungen wie Peter Birmanns «Kühe und Schafe im Wald», Gemälde wie Caspar Wolfs «Waldlandschaft» oder Ernest Biélers «Laubsammlerin» und Julian Charrières Videoarbeit «Ever Since We Crawled Out» begleiten Besucher durch Themen wie Abholzung und romantische Überhöhung, Naturschutz und Nationalparks. Und konfrontieren einen vielleicht auch mit der eigenen verklärten Vorstellung vom Wald.
Ein Wald nur aus dunklen Fichten
Oliver Gerlach ist mit dem Auto einige 100 Meter Richtung Hönggerberg gefahren und hält nun neben einem dunklen Waldstück an. Die Fichten stehen hier so dicht, dass sie kaum Sonnenlicht durchlassen. Die wenigen Strahlen, die es durch die Äste schaffen, überziehen eine kleine Fläche des Waldbodens mit falbem Licht. «Das ist noch eine der übrig gebliebenen Fichtenmonokulturen», sagt Gerlach. Noch vor 100 bis 150 Jahren habe der ganze Stadtwald so ausgesehen. «Alle Bäume sind gleich hoch und bilden ein dunkles Dach.» Auf der anderen Seite des Forstweges gefällt es dem Forstingenieur schon besser. Der Wald ist lichter, Bäume und Sträucher sind unterschiedlich hoch. Der Laubmischwald bestehe hier aus der sogenannten Baum-, Strauch- und Krautschicht, erklärt er. «Diese drei Ebenen bilden verschiedene Lebensräume, die miteinander interagieren. Deshalb möchten wir, dass sie gleichmässig über den ganzen Wald verteilt sind.» Damit dies erreicht wird, fällt Grün Stadt Zürich ältere und kranke Bäume. Etwas, das in der Bevölkerung nicht immer auf Verständnis stösst. «Mir ist bewusst, dass dies ein emotionales Thema ist», sagt Gerlach. Dennoch wünsche er sich, die Menschen würden mehr zwischen Bäumen im Siedlungsgebiet und jenen im Wald unterscheiden. Für einen gesunden Wald zähle nicht zwingend der einzelne Baum, sondern das ganze System mit all seinen Wechselwirkungen.
Für den Wald kann der Sturm eine Chance sein
Der letzte Halt auf Oliver Gerlachs Tour. Mit seinen schweren Bergschuhen steigt der Forstingenieur über einen Baumstamm, der quer über dem Trampelpfad liegt. Etwa 50 Meter von der Forststrasse entfernt bleibt Gerlach schliesslich stehen. Der Pfad ist nicht mehr passierbar. Hier, unweit der ETH Hönggerberg, liegen Dutzende umgestürzter Bäume und erinnern an den Sommersturm im letzten Jahr. «So etwas trifft auch mich persönlich», sagt Oliver Gerlach. «Trotzdem versuche ich auch, darin die Chance für den Wald zu sehen.» An solchen Stellen gelange jetzt mehr Licht auf den Waldboden. So könne sich potenziell eine Vegetation entwickeln, die auch besser an die Zukunft angepasst sei.
Die Zukunft des Waldes – die grosse Herausforderung für Oliver Gerlach. Wie reagieren die Bäume auf die steigenden Temperaturen? Welche Arten kommen damit klar? Eine mögliche Antwort verbirgt sich auf einer 16 Quadratmeter grossen, umzäunten Fläche wenige Meter neben dem Trampelpfad. Sieben kleine Eichen wurden hier gepflanzt; aus einer von ihnen soll einst ein stattlicher Baum werden. Denn die Eiche ist wärme- und trockenheitsresistent und ein wichtiger Lebensraum für Insekten und Vögel.
Und der Rest der verwüsteten Fläche? Oliver Gerlach lässt den Blick schweifen: «Hier werden wir gar nichts tun. Das ist eine von rund 20 Altholzinseln in diesem Gebiet; hier überlassen wir den Wald sich selber.» Im Totholz würden sich schon bald Insekten einnisten und Pilze wachsen, fügt Gerlach an. Dann geht er auf dem Trampelpfad langsam zurück zur Forststrasse. Hinter ihm liegt der Wald ruhig da – der kommt auch ohne uns Menschen klar.
Ausstellung
Im Wald – Eine Kulturgeschichte
Bis So, 17.7. Landesmuseum Zürich
Buch
Im Wald. Eine Kulturgeschichte
120 Seiten
(Scheidegger & Spiess 2022)