kulturtipp: Elisabeth Bronfen, für Ihre Gruppenschau haben Sie aus der Sammlung des Aargauer Kunsthauses wunderbare Werke von Künstlerinnen ausgesucht. Wer hat bei Ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen?
Elisabeth Bronfen: Was Doris Stauffer mit Alltagsobjekten machte, ist grandios. Ihr «Schneewittchen und die acht Geisslein» ist einerseits einfach witzig, gleichzeitig zielt es auf das Märchen als Genre und die Frau als ausgestelltes Objekt ab. Auch die Arbeiten von Ilse Weber finde ich phänomenal. Sie malte atmosphärische Interieurs. Dann wiederum geistreiche Sehspiele – das zerknitterte Haus, die sich auflösenden Räume.
kulturtipp: Ihre Ausstellung beschränkt sich auf Kunst aus den 1970er bis 1990er-Jahren. Weshalb gerade diese Zeitspanne?
Elisabeth Bronfen: Damals traten die ersten Künstlerinnen in Erscheinung, die von den Schweizer Gewerbeschulen und Kunstakademien kamen. Ihre Vorgängerinnen mussten oft noch im Ausland studieren. Bei dieser Gruppe kann man wirklich sagen: Diese Künstlerinnen kamen aus der zweiten Frauenbewegung und operierten mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein.
kulturtipp: Liest man Namen wie Manon, denkt man rasch an eine sehr körperliche Kunst. Was zeichnet Kunst von Frauen aus dieser Zeit sonst noch aus?
Elisabeth Bronfen: Ich wollte nicht das Offensichtliche zeigen: Frauen, die ihren Körper, ihre Nacktheit ausstellen. Auf Hannah Villigers Fotografien sind zwar Körperteile zu sehen, aber sie wirken fast skulptural. Mich hat auch sehr gefreut, dass wir Heidi Buchers Raumhäutung «Borgen» bekommen haben. Bei ihr verbinden sich Körper und Raum, Innen und Aussen, Wand und Haut. Schliesslich steckt in vielen der gezeigten Arbeiten ein Witz, den man im Englischen als «whimsical » bezeichnen würde – leicht skurril und für mich sehr schweizerisch. Donatella Maranta zum Beispiel zeigt in ihren kleinen Gouachen Alltagsobjekte auf eine liebevolle und fröhliche Art. Das hätten Pop-Art-Künstler wie Warhol oder Lichtenstein nie so gemacht; bei denen hatte das immer etwas Tragisches oder Antikapitalistisches.
kulturtipp: Woher kommt dieser Blick auf Alltägliches?
lisabeth Bronfen: Diese Künstlerinnen hatten einen anderen Bezug zu den Objekten. Viele von ihnen waren zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Karriere zu Hause mit den Kindern, lebten also mit diesen Gegenständen.
kulturtipp: Die Arbeiten von Doris Stauffer und vieler anderer Künstlerinnen tat man gerne als «Frauenkunst » ab. Inwiefern ist diese Ausstellung auch ein Gegenpunkt zu einer verhockten Form von Kunstgeschichte?
Elisabeth Bronfen: Mir war es wichtig, die bestehende Sammlung neu zu lesen und diese Ausstellung von den üblichen Kategorien wie Künstlergenie, Biografie, Epoche oder Meisterwerk zu lösen. Mich interessiert, wie Frauen ihre künstlerische Kreativität zum Ausdruck gebracht haben. Für welche Medien interessierten sie sich? Unter welchen Bedingungen schufen sie ihre Werke? Und dann möchte ich ein Gespräch herstellen zwischen den einzelnen Arbeiten und auch zwischen dem Publikum und den Kunstwerken. Unsere Gesellschaft möchte offensichtlich an der Idee des Museums und der Sammlung festhalten. Dennoch denke ich, dass wir nicht endlos weitermachen können wie in den letzten 100 Jahren.
kulturtipp: Apropos, die Zahl der Einzelausstellungen von Frauen war auch in der Schweiz lange blamabel. Jetzt übertrumpfen sich die Museen gegenseitig mit solchen Schauen. Wie bewerten Sie das?
Elisabeth Bronfen: Ich freue mich über jede Einzelausstellung einer Künstlerin. Aber es sind Einzelausstellungen. Da besteht oft die Tendenz, dass man sich auf eine Erzählung festlegt: Diese Künstlerin ist besonders, weil sie schrecklich gelitten hat oder unglaublich hartnäckig war. Momentan hat es auch etwas von einer Modewelle. Und da besteht immer die Gefahr, dass sie bald wieder weg sind. Ich wünsche mir, dass die Museen diesbezüglich nachhaltig denken.
kulturtipp: Unter den von Ihnen gezeigten Künstlerinnen gerieten einige zwischenzeitlich in Vergessenheit. Geht es Ihnen auch darum, sie in Erinnerung zu rufen?
Elisabeth Bronfen: Mir ist schon auch wichtig, diese Künstlerinnen wieder sichtbar zu machen. Mein Gott, da gibt es so viele, die weder ich noch meine Bekannten aus dem Kunstbetrieb kannten. Ich hoffe, dass diese Ausstellung etwas auslöst. Dass andere Museen sich überlegen, welche Künstlerinnen man aus dem Depot holen und wie man sie gruppieren könnte.
kulturtipp: Welches Potenzial steckt bei einer solchen Schau im Blick aus der zeitlichen Distanz?
Elisabeth Bronfen: Es ist wichtig, dass man in seiner Zeit lebt und arbeitet. Aber ich halte es politisch und kulturell für fatal, zu vergessen, was vorher war. Ich möchte jungen Menschen – und vor allem jungen Künstlerinnen – klarmachen, dass sie die Vergangenheit als Archiv nicht vergessen sollten. Nicht nur, weil man da sehr viel Mut und Ideen holen kann, sondern weil man auch die ganzen Probleme, die uns jetzt heimsuchen, dort schon einmal vorfindet. Wenn man zum Beispiel vergisst, wie fragil Frauenrechte sind, rüstet man sich nicht richtig. Das konnten wir eben erst in den USA beim Thema Abtreibung sehen. Dabei hätte man wissen können, wie hart Frauen ab den 70ern für dieses und andere Rechte kämpften.
Übersichtsschau
Elisabeth Bronfen ist Professorin für Anglistik und American Studies an der Universität Zürich. Für das Aargauer Kunsthaus hat sie die Übersichtsschau «Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau …» mit Arbeiten aus dem Zeitraum der 1970er- bis 1990er-Jahre kuratiert. Die Ausstellung zeigt anhand der Themen «Körper», «Interieurs», «Selbstbildnis», «Pop» und «Witz» Werke von Meret Oppenheim, Sophie Taeuber-Arp, Manon und vielen mehr.
Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau … – Eine Geschichte der Künstlerinnen
Sa, 27.8.–So, 15.1., Aargauer Kunsthaus Aarau