An diesem Sommernachmittag wäre es wirklich praktisch, Andri Pol liesse sich klonen. Dann könnte sich der Fotograf weiter in der Museumsküche mit Roman Signer unterhalten, während sein Klon fotografiert: Signer und Pol, der Lausbub unter den Schweizer Künstlern und der Schelm unter den Fotojournalisten, zwischen ihnen eine klobige Kaffeemaschine. Die Szene wäre etwas milchig überbelichtet und aufgeladen mit einer Doppelbödigkeit aus Banalität und Überraschung. Ein Foto, wie es Andri Pol schon von Cern-Forschern in der Kaffeepause schoss. Ein Foto, wie es eben nur er schiesst.
Etwas später, Roman Signer ist gegangen, sitzt Andri Pol vor dem Museum im Bellpark auf einer Festbank. Drinnen wird gerade «Un_bekannt» aufgebaut, die Retrospektive mit Pols Porträtfotos aus gut 30 Jahren. Eine Installation von Roman Signer ergänzt die Ausstellung: Im Treppenhaus bläst ein Ventilator ein rotes Segel an Drähten in die Höhe, von wo es langsam wieder runtergleitet.
«Es ist ein schöner Zufall, aber ich finde, es passt»
Pol freut sich sichtlich über Signers «Rotes Tuch». Angeregt erzählt er von den Brückenschlägen zwischen der Installation und seinen Fotos; vom Rot, das just jenes des Bänderknäuels spiegelt, das auf seinem Signer-Porträt das Gesicht des Ostschweizer Künstlers verdeckt. «Es ist ein schöner Zufall», sagt Pol, «aber ich finde, das passt.»
Und wie das passt! In Andri Pols Fotografie stösst der Betrachter auf den Witz und die Neugierde, die man auch aus Roman Signers Kunst kennt. Der heute 60-Jährige machte sich ab den frühen 1990ern mit seiner erfrischend neuen Reportagefotografie einen Namen. Ungewohnte Winkel und überraschende Bildkompositionen – da arbeitet einer mit präzisem Blick. Sein Bildband «Grüezi – Seltsames aus dem Heidiland» etwa wurde ein Hit. Darin zeigte Pol die Wasserrutsche neben dem Chalet, die Trachtenfrauen auf dem Spielplatz, das Kuhfladenlotto, die Schneekanonen und Agglo-Discos. Liebevoll-kritisch und durchaus etwas schelmisch kratzten diese Fotos am Selbstbild der Schweiz. Zu lang wäre die Liste der Auszeichnungen, zu lang jene der Magazin-Aufträge, die ihm sein Gespür für Widersprüche und Skurriles einbrachten. Wer aber mit seinen Bildern aufwuchs, der übersieht nie mehr die rostende Eisputzmaschine neben dem pittoresken Heuschober oder den geschnitzten Steinbock im wüsten Schottervorgarten.
Für die Ausstellung im eigenen Archiv gewühlt
«Ich sehe einfach so» – Pols Antwort ist ein Satz gewordenes Schulterzucken. Vreni Schneider im Bauernschrank? Der Sänger Gölä auf einer Baustelle, Zigarettenrauch aus der Nase blasend? Die Frage nach seinen Ideen für diese Porträts begleitet Pol mit einem skeptisch-zögerlichen «mh-hm». Dann setzt er aber doch zu einem Erklärungsversuch an. Und die grosszügigen Pausen zwischen den Sätzen scheinen einen einzuladen, ihn noch einmal an das Shooting zu begleiten: Gölä, die Kellerrenovation, der Besuch der Baustelle, der rauchende Sänger, die Scheinwerfer. Pol sah Saallichter, die den singenden Büezer auf seiner Baustellen-Bühne anstrahlten. «Da musste ich gar nicht studieren», sagt er. Immer lebhafter wird seine Stimme, während er dies erzählt. Die Anekdote gipfelt schliesslich in einer Imitation der Kamera: «Klack». Selbst in der Erinnerung ist Andri Pol ganz in seinem Element.
Für «Un_bekannt» hat Pol in seinem Archiv gewühlt – in vielerlei Hinsicht eine reizvolle Arbeit. Das Porträt sei ein wichtiger Brotjob, den er wahnsinnig gerne mache, erklärt er. Gleichzeitig stecke hinter jedem Bild auch eine Geschichte. Und was ihm bleibe, seien vor allem die Begegnungen mit den Menschen. «Das Foto ist das Supplement.»
Fotografieren heisst kommunizieren
«Supplement» – was für ein Understatement! Doch was an Pols Fotos ins Auge sticht: Gerade in ihrer Verspieltheit zeugen sie von einem grossen Vertrauen, das die Porträtierten dem Fotografen entgegenbringen. Einfach so würde sich Sina kaum beim Rumblödeln fotografieren lassen; würde sich Roger Federer kaum zwischen zwei Skulpturen von nackten Tennisspielern setzen. Pol sagt, für ihn werde die Arbeit dann reizvoll, wenn er mit dem öffentlichen Image einer prominenten Person spielen könne. Doch damit dies gelingt, müsse er mit den Menschen sprechen, versuchen herauszufinden, mit wem er es zu tun habe. «Fotografieren hat viel mit Kommunikation zu tun.»
Er wolle auch niemanden blossstellen, fügt er an. Es ginge ihm stets um den journalistischen Inhalt, wird Pol im Verlauf des Gesprächs über seine Reportage- und Porträtfotografie sagen, und nie einfach nur um Gags. Eine Aussage, welche die Retrospektive im Museum im Bellpark bezeugt. Da ist zum Beispiel jene frühe Schwarz-Weiss-Serie von Knechten und Hirten. Jedes der zerfurchten Gesichter erzählt von Entbehrung und harter Arbeit. Oder die Fotos von den Albinos im Norden Tansanias. Aus Aberglauben gejagt und verstümmelt, leben sie in ständiger Angst. Andri Pols Porträts verleihen ihnen eine stille Würde.
Pol zieht zielstrebig in den ersten Stock des Museums. In einem der Ausstellungsräume liegen drei grossformatige Fotos von Ai Weiwei am Boden, die Ecken sind mit Büchern beschwert. Die Fotoserie zeigt den chinesischen Künstler, wie er ein rotes, besticktes Tuch in die Luft wirft und wieder in den Händen hält. Die Bilder sollen später im Treppenaufgang hängen. Noch eine Verbindung zu Roman Signers rotem Segel. Ai Weiweis Gesichtsausdruck auf den Fotos ist schwierig zu deuten. Ob es einfach war, ihn zu dieser Bildidee zu bewegen? «Kontrollierter Zufall», sagt Pol lediglich und lächelt verschmitzt. Eben: Fotografieren ist Kommunikation.
Un_bekannt – Porträts von Andri Pol
Bis So, 7.11.
Museum im Bellpark Kriens LU