Eines der wichtigsten Werkzeuge der Malerin Katharina Grosse ist die Hebebühne. Schliesslich arbeitet die deutsche Künstlerin nicht selten in Grössenverhältnissen, die sonst nicht zu bewältigen wären. Sie bemalte schon ganze Gebäude mit ihren grellbunten Farbwolken. Und selbst wenn sie auf Leinwänden arbeitet: Wer sagt, dass beim Bilderrahmen Schluss sein muss?
Ihre abstrakt-expressiven Arbeiten haben Katharina Grosse in den letzten gut 35 Jahren zu einer der wichtigsten Exponentinnen der zeitgenössischen Malerei gemacht. Nun widmet ihr das Kunstmuseum Bern mit der Ausstellung «Studio Paintings, 1988–2022» die erste Übersichtsschau in der Schweiz. Zu sehen sind 42 Gemälde und Mixed- Media-Arbeiten.
Die Sprühpistole als Erweiterung des Körpers
Katharina Grosse kommt 1961 als Tochter einer Künstlerin und eines Hochschulprofessors zur Welt und wächst in Bochum auf. Sie studiert an der Kunstakademie Düsseldorf, wo sie Meisterschülerin des abstrakten Malers Gotthard Graubner wird. Er sieht das Gemälde als Körper, der stets mit dem Raum agiert. Farbe wiederum ist für ihn immer Informationsträgerin. Diese Philosophie denkt Katharina Grosse weiter. Die Malerin sieht ihre Kunst als etwas, das direkt in das Leben der Menschen hineinwirken soll.
Da kommt ihr Ende der 1980er eine Entdeckung nur zu gelegen: die Sprühpistole. Das Gerät wird zusammen mit der Hebebühne zu einer Erweiterung ihres Körpers, wie sie später einmal gegenüber dem Kultursender 3sat sagt. Und was sich mit diesen Werkzeugen erst anstellen lässt! 1998 bemalt Grosse in der Kunsthalle Bern die Ecke eines Raums grün. 2004 besprüht sie bereits ein ganzes Zimmer inklusive Bett und Umzugskartons.
In den Jahren darauf folgen ausgediente Armeebaracken und ganze Landschaftsstreifen. Bisweilen wird Grosse gar zur Architektin ihrer eigenen Traum- gärten, indem sie Schutt und Styropor, Baumstämme und Tuch schichtet, drapiert und gleich mit der ganzen Ausstellungshalle bemalt.
Ordnung der Welt löst sich im Farbnebel auf
Diese formatsprengenden Dimensionen erreicht die Schau im Kunstmuseum Bern freilich nicht. Doch die Wirkung von Grosses Arbeiten entfaltet sich auch anhand ihrer Studiowerke. Mal weisen die Schwünge ihrer Sprühpistole über die Leinwand hinaus, lassen die Betrachter die Farbverläufe jenseits der Leinwand weiterdenken. Mal überlagert Grosse die Farbe mithilfe von Schablonen und verleiht ihrer Abstraktion damit erstaunliche räumliche Tiefe. Mal erweitert sie ihre Gemälde mit bemalten Tüchern oder Sträuchern und verändert so die Bildwirkung je nach Blickwinkel.
Etwas vergnüglich Aufwieglerisches strahlen diese Arbeiten aus. Denn drückt Katharina Grosse erst einmal auf den Abzug ihrer Sprühpistole, löst sich die rigide Ordnung der Welt im Farbnebel auf.
Katharina Grosse: Studio Paintings, 1988–2022
Bis So, 25.6. Kunstmuseum Bern