Die Krankenkassenprämien steigen, medizinische Fachkräfte fehlen, psychisch geht es vielen Menschen schlecht. Ein guter Moment, um gründlich über die Gesundheit nachzudenken – und das Stapferhaus zu besuchen. Dieses verwandelt sich für seine neue Ausstellung «Hauptsache gesund» in eine Art Spital.
Ernsthaft und verspielt zugleich
«Der Nächste, bitte», sagt die kühle Stimme in einem zum Wartezimmer umgestalteten Raum und schickt einen durch eine weisse Türe. Fünf Stationen warten auf die Besucherinnen und Besucher. Hier können sie sich Gedanken zum eigenen Wohlbefinden machen und die grossen Themen der Medizin und des Gesundheitswesens erkunden, ernsthaft und verspielt zugleich.
Verloren geht man trotz viel Inhalt nicht. Die Orientierung ist gut. Am Boden verläuft ein beschrifteter Teppich, von der Decke hängen an den entsprechenden Stellen die drängenden Fragen, etwa «Woher weisst du, ob du krank oder gesund bist?», «Worauf vertraust du?».
Die Menschen, denen man im ersten Raum über Bildschirme begegnet, haben sich damit gezwungenermassen eingehend beschäftigt. Sie alle haben Diagnosen, sehr unterschiedliche. Eines Tages wollte Regulas Bein nicht mehr: ALS, eine unheilbare Erkrankung des Nervensystems. Irina erholte sich nicht von einer Coronainfektion: Long Covid. Lua sagt, sie spreche eine andere Sprache. Offiziell sagt die Medizin: an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit.
Mit einem grossen weissen Lift, der einem Bettenlift in Krankenhäusern gleicht, fährt man in den oberen Stock – und zu vielen Möglichkeiten. Denn nach der Diagnose kommt die Behandlung. Eine Wand voller Pillen symbolisiert die Schulmedizin.
Stundenlang haben die Mitarbeiterinnen des Museums mit Unterstützung eines Männerturnvereins in Handarbeit weggeworfene Kapseln, Dragees und Tabletten aus Apotheken ausgepackt, um den riesigen durchsichtigen Raumtrenner damit zu füllen.
Zu Beginn eine Warnung vor Blut
«Aufschneiden» – hört man über einen Kopfhörer nebenan. Ein Arzt erzählt, wie er ein Knie operiert. Ein Video zeigt, wie das aussieht. Der Disclaimer zu Beginn warnt vor Blut. In der Tat ist das freigelegte Knie nichts für schwache Nerven. Wer sich dem Operieren unblutig nähern möchte, kann dies über einen Simulator für chirurgische Fähigkeiten tun.
Mit zwei Zangen an langen Stäben versucht man, kleine Klötzchen zu greifen und über einen Metallstift zu stülpen – der Monitor zeigt das Ganze spiegelverkehrt an. Gefühlt unmöglich.
Aber möglich ist heute in der Medizin vieles. Das hat während der Recherche auch die Leiterin des Stapferhauses, Sibylle Lichtensteiger, überrascht. «Es ist wahnsinnig, was an Fortschritt auf uns zukommt. Auf der anderen Seite stehen ethische Fragen.»
«Wo liegen die Grenzen?», fragt die Schau im Teil, in dem sich medizinische Geräte, die das Überleben von Menschen ermöglichen sollen, aneinanderreihen. Zwischen ihnen liegt ein gehäkelter Tintenfisch auf einem Regal. «Als Giannino auf die Welt kam, hat er nicht geatmet», steht auf der Tafel neben seinem ersten Stofftier aus der Neonatologie. «Es tuet eus im Herze weh», «zu fescht chrank», «i eusne Arme igschlafe», liest man in der Nachricht der Eltern ans Umfeld.
Bei Operationen selbst Hand anlegen
Das Spektrum an Emotionen, welche im Stapferhaus aufkommen, ist gross. Verunsicherung darüber, wo man selbst auf dem Spektrum Gesundheit-Krankheit steht. Mitgefühl mit Erkrankten und jenen, für die der Fortschritt nicht ausgereicht hat. Leichte Belustigung über moderne Sportgeräte, Vitaminpräparate und proteinreiche – und vor Ort essbare – Heuschrecken, die helfen sollen, fit zu bleiben.
Unverständnis über die nicht enden wollende Misere des Gesundheitswesens an sich. Letzteres liegt in einem nachempfundenen Operationssaal gleich selbst auf dem Schragen, als leuchtendes Wesen unter einem hellen Tuch. Über Knöpfe können Besucherinnen und Besucher Optionen wählen, mit denen man es retten möchte, aus den Infusionsbeuteln läuft wahlweise «Kein Profit» oder «Vertrauen statt Bürokratie». Ob es hilft?
Gesundheitskosten beschäftigen Bevölkerung
Einfach Antworten findet man im Stapferhaus erwartungsgemäss nicht. «Wir versuchen, Komplexität auszuhalten», sagt Sibylle Lichtensteiger. Ihr selbst habe diese Recherche wie kaum eine andere gezeigt, wie weit verzweigt das Thema Gesundheit ist.
Beinahe überfordert seien sie gewesen mit der Fülle an Material und Interviews, die sie und ihr Team im Vorfeld gesammelt haben. Ebenso glaubt sie, dass viele Menschen überfordert sind mit den unzähligen Tipps dazu, was nun gesund ist und was nicht. Das Stapferhaus möchte, wie auch schon bei vorherigen Themen – Geschlecht, Natur, Geld – ein Ort sein, wo man über Grundsätzliches nachdenken kann.
Immerhin eins ist sicher: Die steigenden Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien beschäftigen die Schweizerinnen und Schweizer. Das zeigen neuere Zahlen zu den grössten Sorgen der Bevölkerung.
Die Pandemie hat das Thema gesundheitlicher Bedrohungen nochmals in ein neues Licht gerückt, die Folgen sind für viele nicht ausgestanden, weder körperlich noch finanziell. Und jene, die uns behandeln sollten, leiden selbst unter Burn-outs und steigen aus ihren Berufen aus. Es bleibt also kompliziert.
Damit die Besucher nach dem «Austritt» durch die letzte weisse Türe nicht völlig erschlagen nach Hause gehen müssen, hat das Museumsteam vorgesorgt. Am Ende wartet eine Couchkissen-Installation in angenehmem Hellbeige. Man kann sich setzen, hört Hebammen und Sterbehelferinnen über den Anfang und das Ende des Lebens sprechen. Hält inne. Bin ich nun
gesund oder nicht?
Achtsamkeit: Wer ist hier wirklich krank?
Wer sich kritisch in die Welt der Selbstoptimierung vertiefen möchte, kann dies im Museum Sankturbanhof im luzernischen Sursee tun. Denn: Wir sind zunehmend gestresst. Die Leistungsgesellschaft lässt viele nach Ruhe suchen, entsprechend gross ist das Angebot.
Achtsamkeitslehre, Yogis, Fitnesstrainerinnen, Selbsthilfebücher, Coaches. Doch sollten wir den Fehler für unser Schwächeln wirklich einfach in uns suchen? Oder ist das Problem vielleicht grösser und gründet im Neoliberalismus und Kapitalismus? Solchen Fragen geht die Schau «Ob-Achtsamkeit» nach mit Werken wie Kevin Aeschbachers leuchtender Ritalindose.
Ob-Achtsamkeit – Zwischen Spiritualität und Kommerzialisierung
Bis So, 9.2.
Museum Sankturbanhof Sursee LU