Zu einer richtigen Weihnachtsfeier gehört ein Chalet in den Bergen. Das lehren uns jeden Winter die Lifestylemagazine mit ihren Bestenlisten luxuriöser Chalets für die Festtage. Und das lehrten uns schon George Michael und Andrew Ridgeley von Wham! mit ihrem Videoclip zu «Last Christmas». Mit der ausgelassenen Clique im Schlepptau stapften sie 1984 ihren Chalet- Weihnachten in Saas-Fee entgegen. Und verankerten das verschneite Holzhaus in den Alpen auf ewig als Sehnsuchtsort im Kollektivgedächtnis.
Über einer Wand hängt frech ein Kübel Geranien
Die Kultur- und Architekturgeschichte dieses beliebten Haustypus beleuchtet nun die Ausstellung «Chalet – Sehnsucht, Kitsch und Baukultur» in der Schweizerischen Nationalbibliothek Bern.
Schon die Architektur der Schau greift das Thema wunderbar auf: Der Parcours führt an Stellwänden und an Tischen vorbei, die aus roh belassenen Brettern gezimmert sind. Die charakteristischen Chaletverzierungen sind mit Farbe angedeutet. Es riecht nach Holz. Über einer weissen Wand hängt frech ein Kübel Geranien.
Die Co-Kuratoren Beat Gugger und Hannes Mangold haben sich dem Thema offensichtlich mit einer gewissen Leichtigkeit genähert. Den Eingangsbereich zieren Kuckucksuhren und anderer Souvenir-Kitsch. Danach gibt es Spielzeugchalets und «Last Christmas» von Wham! auf einem Tablet. Wie ginge es ohne!
Das Fertigbau-Chalet als Schweizer Exportschlager
Auch das Chalet als politisches Symbol fehlt nicht. Ein Highlight: Ueli Maurers Modell-Chalet, mit dem er als VBS-Chef 2014 für den Kampfjet Gripen warb. Wie ging das nochmal? Die Schweiz ist ein Chalet, ohne Luftwaffe fehlt das Dach, und es regnet rein? Doch wie viel Schweiz steckt wirklich im Chalet?
Das Holzhaus in sogenannter Strickbauweise und mit flachem Satteldach gibt es im ganzen Alpenraum. Die grosse Leistung der Schau ist es denn auch, den Weg vom Typus zum Inbegriff von Schweizertum aufzudröseln. Kleinmeister-Gemälde und Brienzer Modell-Chalets aus dem 19. Jahrhundert, Fotografien von Welt- und Landesausstellungen und Musterbücher von Holzbaufirmen erzählen eine so komplexe wie spannende Entwicklung.
Diese führt vom Tourismus-Boom des späten 18. Jahrhunderts zu den Garten-Chalets, die sich der europäische Adel nach der Schweiz-Reise in den Park stellte. Sie führt zu den «Villages Suisse», mit denen sich die Schweiz an Weltausstellungen präsentierte – und somit das Aussenbild einer bodenständigen und idyllischen Schweiz rückimportierte. Und sie führt am Schluss zu den Fertigbau-Chalets, die aus der Schweiz in die ganze Welt exportiert wurden. Als Besucher taucht man auf diesem Weg nicht nur in die Tourismus- und Industriegeschichte ein, sondern wird auch angestossen, über das eigene Schweiz-Bild nachzudenken.
Sotheby’s hat Chalet von 1882 im Angebot
Dass es beim Chalet auch ohne Folkloristik geht, zeigt die Ausstellung anhand moderner Spielarten. Das Refugi Lieptgas bei Flims etwa erinnert an einen klassischen Schober, ist aber aus Beton gegossen. Wem das doch zu modern ist: Beim Auktionshaus Sotheby’s steht ein stattliches Chalet von 1882 zum Verkauf. 3,5 Millionen Pfund, vier Stöcke, Laubsägeli-Verzierungen. Wo es steht? Am Ufer der Themse im englischen Surrey. Ein Schweizer Chalet in England? Ein englisches Chalet nach Schweizer Art? Hauptsache Chalet.
Chalet – Sehnsucht, Kitsch und Baukultur
Bis Fr, 30.6., Schweizerische Nationalbibliothek Bern