Das Dorf Runik gehört zum Distrikt Mitrovica im Norden des Kosovo. Diese Gegend ist geteilt. Die albanischen Kosovaren sind in einzelnen Dörfern in der Minderheit; dort bestimmen die Serben das politische Geschehen – weitgehend unabhängig von Pristina. In der politisch spannungsgeladenen Atmosphäre von Runik hat der Künstler Petrit Halilaj eine grosse Veranstaltung im Kulturzentrum organisiert. Dieser Anstoss soll zum einvernehmlichen Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen beitragen. «Anstoss» heisst auf Albanisch «Shkrepëtima», und dieses Wort wurde als Titel für die neue Ausstellung im Berner Zentrum Paul Klee gewählt. In Runik ist Halilaj aufgewachsen, bevor er – im Zuge des Kosovokrieges – mit seinen Eltern nach Italien fliehen musste.
Subtile Auseinandersetzung
Der 30-jährige Halilaj setzt sich intensiv mit der Geschichte seiner geteilten Heimat auseinander. Nicht plakativ mit politischen Parolen, sondern subtil und feinfühlig. Davon zeugt diese Installation mit den Tonkrügen, die an gefährliche und seelenlose Insekten erinnern – eine Art verwunschene Roboter. «Poetische Installationen» nennt das «Art Mag» diese Werke.
Sie könnten indes auch aus prähistorischer Zeit stammen. Tatsächlich: Halilajs künstlerische Aufmerksamkeit richtet sich auf die jungsteinzeitliche Siedlung bei Runik. Bis heute entdecken Dorfbewohner historische Artefakte – darunter Töpferwaren, zeremonielle Gegenstände oder menschliche Figurinen.
Halilaj interessiert sich für die Frage, welche Rolle diese historischen Artefakte im gesellschaftlichen und kulturellen Leben der Gemeinde spielen könnten. In Runik lebt das Wissen über die ferne Vergangenheit vor allem in der mündlichen Überlieferung weiter, wobei die Grenzen zwischen Realität und Mythos, Fakten und Fiktionen unscharf gezogen sind.
Komplexe Momentaufnahme
Die Videoinstallation «The City Roofs Were So Close To Sleepwalking» (2017) erzählt die Geschichte dieser steinzeitlichen Fundstücke und die Spekulationen, die sie umgeben. Dabei ist nicht nur ein Porträt des Dorfes Runik entstanden, sondern auch eine komplexe und poetische Momentaufnahme des Kosovo als junger Nation mit unsicherer Vergangenheit und Zukunft. Aus Sicht der Berner Kuratoren heisst das: «Die steinzeitlichen Objekte verwandeln sich in Wandervögel, die auf Reisen gehen, Grenzen überschreiten und neue Lebensräume bevölkern.»
Nicht nur Leichtes hat Platz
Bei aller Verspieltheit kann Halilaj auch deftig sein. Vor fünf Jahren liess er 60 Tonnen Erde an der Art Basel in die Koje seiner Galerie kippen. Es sollte sich um Material vom Grundstück seines zerstörten Elternhauses in Runik handeln. Unerheblich, ob es tatsächlich von dort stammte: Die Aufmerksamkeit, die politische wie die künstlerische, war Halilaj gewiss. Aber darum geht es ihm nicht allein: Dies belegt ein Videofilm, den er bei einer Rückkehr in seinem Dorf Runik drehte. Er kam zufälligerweise an einem Tag zurück, als seine zerstörte Schule kurz vor dem Abriss stand, und wurde mit den Aggressionen von spielenden Grundschülern konfrontiert, die ins Unkontrollierbare abzugleiten drohten. Die jüngste Vergangenheit ist hier wie überall auf dem Balkan präsent.
Petrit Halilaj: Shkrepëtima
Zentrum Paul Klee Bern
Bis So, 19.8.