«Er trug Anzug und blank geputzte Schuhe, aber in seinem Inneren steckte eine Bombe.» So beschreibt ein Weggefährte den katalanischen Künstler Joan Miró (1893–1983) im Dokumentarfilm von Albert Solé Bruset aus dem Jahr 2016. «Joan Miró – Farben, Feuer, Freiheit» zeigt den Maler, Grafiker, Bildhauer und Keramiker von seiner rebellischen Seite, behauptet gar, er sei eigentlich Ikonoklast gewesen, ein Bilderstürmer, der sich nicht davor scheute, eigene Kunstwerke zu zerstören.
Tatsächlich geht bei all den bunten, poetisch-verspielten Motiven, die Miró der Nachwelt hinterliess, oft vergessen, was den antifaschistischen Spanier, der seine Abneigung gegen Franco offen äusserte, antrieb: eine gehörige Portion Anarchie. Die Surrealisten verliess er kurzerhand, als diese Bewegung rund um den französischen Schriftsteller André Breton ihm zu dogmatisch wurde. Miró wollte sich Zeit seines Lebens nichts vorschreiben lassen.
In Bern wird der «rohe Miró» gezeigt
Die aktuelle Ausstellung im Zentrum Paul Klee unter dem Titel «Joan Miró – Neue Horizonte » präsentiert nun mit einem Fokus auf das Spätwerk einen «rohen Miró», wie Kuratorin Fabienne Eggelhöfer verrät. Gegenüber dem 14 Jahre älteren Paul Klee soll er grossen Respekt verspürt haben. In seiner Zeit in Paris, wo er zum Wegbereiter des Surrealismus wurde, entdeckte er dessen Werk in der Galerie Vavin-Raspail, welche die erste Klee-Schau in Paris organisierte. «Klee liess mich spüren, dass es in jedem plastischen Ausdruck etwas anderes gibt als Malerei-Malerei, dass man darüber hinausgehen muss, um zu aufregenderen tieferen Bereichen zu gelangen» – so ein Zitat des Spaniers.
Für das Zentrum Paul Klee lag Miró, dessen Werke bereits in der Schau «Klee und die Surrealisten » (2016) berücksichtigt worden waren, auf der Hand. Beide Künstler seien fasziniert gewesen von Kinderzeichnungen und prähistorischer Kunst, beide hätten die Balance zwischen abstrakter und figurativer Kunst gesucht, sagt Eggelhöfer. «Ich wollte nicht den Miró zeigen, den man x-fach auf Teetassen und Postkarten reproduziert hat», sagt Eggelhöfer über ihren Fokus auf das Spätwerk. Entstanden ist die Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Fundació Joan Miró in Barcelona, die seit vergangenem Oktober eine Ausstellung von Paul Klee mit Leihgaben der Berner Institution zeigt.
«Ich liebe den Kampf mit den Elementen»
Im Zentrum Paul Klee stösst man auf insgesamt 74 Werke – darunter auch einige Skulpturen. Die Werke stammen aus der Zeit ab 1956, als Miró sein lang- ersehntes eigenes Atelier in Palma de Mallorca beziehen konnte. Der Ausstellungstitel «Neue Horizonte » verweist darauf, dass Miró sich hier noch einmal neu erfand.
Tatsächlich griff der Künstler, der das eigene Werk und die Malerei schlechthin zunehmend kritisch hinterfragte, zu Feuer und Schere. «Ich liebe den Kampf mit den Elementen», sagte der Maler, der scheinbar ein Anti-Miró werden wollte. Textilien übergoss er mit Benzin und löschte die Flammen gezielt mit einem nassen Besen, wobei dieser Akt der Zerstörung zu neuen kreativen Erzeugnissen – den «Toiles brûlées» – führte. Klassische, auf dem Flohmarkt gekaufte Gemälde übermalte er mit rasanten Pinselstrichen. Auch eigene Werke aus den 30erund 40er-Jahren überarbeitete Miró ohne Bedenken.
Ein Beispiel hierfür ist das Gemälde «Kopf» (1940–1974), das aus einer dunklen Fläche und einem monströsen, roten Auge besteht. Miró verachtete den Kunstmarkt und schimpfte die Intellektuellen Dummköpfe, was paradoxerweise seinen Erfolg eher steigerte. Geprägt ist das Spätwerk auch von den Einflüssen der US-amerikanischen abstrakten Expressionisten und Mirós Liebe zu Japan.
1966 reiste Miró erstmals in das Land der aufgehenden Sonne, und er war fasziniert von der dort praktizierten Kalligrafie. Angeregt von der Philosophie des Zenbuddhismus, erkannte er in einem Klecks das ganze Universum. Das Gestische und Expressive fand zunehmend Eingang in seine Malerei, vermehrt kam Schwarz zum Einsatz. Der für seine kunterbunte, poetische Kunst bekannt gewordene Künstler als Schwarzmaler? «Im Grunde bin ich immer ein Pessimist gewesen», sagte Miró einst über sich selbst. Hinter dem teils heiter wirkenden Werk versteckte sich ein nihilistischer Rebell.
Den Vogel muss man sich selbst ausmalen
Frauen und Vögel spielen indes auch im Spätwerk eine Rolle. Nur kann man diese kaum noch als solche erkennen. «Figur, Vogel in der Nacht III» etwa besteht aus einer abstrakten Komposition. Den Vogel muss man sich selbst ausmalen, die Nacht ahnt man durch den von Miró oft verwendeten Stern. Kuratorin Fabienne Eggelhöfer erkennt in diesem Spätwerk etwas sehr Zeitgenössisches.
Dementsprechend präsentiert sie die Arbeiten in weiss gestrichenen Räumen und verzichtet auf eine chronologische oder thematische Hängung. «Man soll von einem Werk zum anderen gehen und diese einzeln entdecken.» Das passt auch zum Ansatz des Künstlers, der seine Arbeit als organisches Ganzes verstand. «Eines geht ins andere über. Alles bildet eine Einheit. Es gibt keine Domäne, die verschieden ist von den anderen. Alles ist miteinander verkettet », sagte er. Auf Gegenüberstellungen mit Klee hat Eggelhöfer bewusst verzichtet. «Die Wucht von Mirós Gemälden würde Klee erschlagen.»
Joan Miró – Neue Horizonte
Sa, 28.1.–So, 7.5.
Zentrum Paul Klee Bern
www.zpk.org