«Ich nenne ihn den grossen Eigensinnigen», sagt Kathleen Bühler, Chefkuratorin am Kunstmuseum Bern, die durch die Ausstellung führt. Das Museum präsentiert rund 65 mehrheitlich frühe Werke dieses Tausendsassas. Dabei konnte das Team aus dem Vollen schöpfen. Rund 170 Werke gingen durch zwei Schenkungen des 2010 verstorbenen, legendären Galeristen Toni Gerber an die Berner Institution. Das Kunstmuseum lud Jean-Frédéric Schnyder ein, die Arbeiten selbst zu arrangieren.
«Ich habe die Auswahl den Räumlichkeiten angepasst», sagt der Künstler während eines Telefongesprächs lapidar. Das grosse Theoretisieren ist seine Sache nicht. Auf die legendäre, von Harald Szeemann 1969 kuratiere Schau «When Attitudes Become Form» angesprochen, in der er unter anderen Avantgardisten mit dabei war, sagt er lediglich: «Das ist schon lange her. Man kannte sich halt.»
Experimentierfreudig, aber nicht ironisch
Schliesslich schiebt er doch noch nach. «Es war eine gute Zeit.» Viel sei damals von auswärts gekommen. «Man bekam die grosse weite Welt serviert», sagt Schnyder, der 1945 in Basel geboren wurde und in Bern aufwuchs. Natürlich habe das an Szeemann gelegen, der die Leute nach Bern holte.
Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern beginnt kindlich verspielt. In Vitrinen stösst man auf Schnitzereien, die der Künstler aus gefundenen Stecken schuf. Und auf Zinnfiguren, die an das Bleigiessen an Silvester denken lassen. Ein schmauchender Kaminfeger begegnet einem euphorischen Schweinchen. Schnyder ist Bastler und Denker in einem. Wie sorgfältig umgesetzte Geistesblitze kommt seine frühe Kunst daher. Sein «Kapitän» von 1973/74 ist ein Skelett aus Weinkorken, wobei er für die Hüften Champagner-Korken verwendet hat und Knochenstücke den Kiefer bilden. Der morbide Kerl, dessen einstiger Beruf sich an der Kapitänsmütze erraten lässt, ist ein bissiges Memento mori: Mit jeder entkorkten Flasche nähern wir uns schliesslich ein Stück weit dem Tod, nicht weil der Alkohol so ungesund wäre, sondern ganz einfach, weil die Zeit vorbeigeht.
Lange bevor es en vogue war, nutzte Schnyder Materialien, die man im Baumarkt kaufen kann, und nagelte etwa mit Sternnieten ein Herz auf Hartfaserplatte. Schnyder wirkt heutig in seiner Experimentierfreudigkeit. Es erstaunt deshalb nicht, dass nebst dem Kunstmuseum auch die Kunsthalle Bern ab dem 25.2. eine Einzelausstellung für den Künstler ausrichtet. «Jean-Frédéric Schnyder hat Marcel Duchamp verinnerlicht, aber sein Schaffen ist nicht ironisch zu verstehen», sagt Kathleen Bühler. Bei seiner Malerei etwa handle es sich keineswegs um so genanntes Bad Painting. Dieser Begriff wurde von der Kunstkritikerin und Kuratorin Marcia Tucker in den 1970ern geprägt, um ironisch gemeinte, figurative Malerei zu bezeichnen, die sich bewusst dem entzog, was gerade galt.
Zur Malerei gefunden, weils lustig ist
Um den «guten» Geschmack scheint Schnyder sich ebenfalls zu foutieren. Doch der gelernte Fotograf wandte sich Anfang der 1970er nicht mit Spott, sondern mit dem Furor des Amateurs der Malerei zu. Gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Margret Rufener, begann er die Werkserie «How To Paint», die sich am Do-it-yourself-Malkurs von Walter T. Foster orientierte. «Mit Fotografie ist es schwieriger, auf einen grünen Zweig zu kommen. Es ist lustiger als Künstler», erklärt er im Gespräch seinen Wunsch, Maler zu werden. Die beiden arbeiteten sich durch den Kurs und erschufen Clowns, Sexbomben und Sonnenuntergänge. Wie man sich diese Zusammenarbeit vorstellen muss? «Sie kann besser Menschen, ich kann besser Gegenstände.»
Um das Ganze zu verschönern, nutzte das Paar Konservendosen als Rahmung, die den Aspekt des Kitschigen noch steigern. «Die Rahmen waren zu jener Zeit noch goldig», so der Künstler. Er habe damals kein Atelier gehabt und sich deshalb für die Strasse entschieden. Mit einem Rennvelo und einer Staffelei erkundete er die Umgebung von Bern und schuf 126 Berner Veduten, die zur Grundlage für seine Karriere als «ernsthafter» Maler wurden. Dabei malte er nicht nur Brücken und Kirchen, sondern auch mal ein modernes Gebäude mit einem Migros-Logo darauf. «So sieht es ja aus», lautet seine knappe Antwort auf die Frage, was ihn dazu bewegte.
«Schnyders Werk erzählt viel über das Künstlersein und zeigt, dass dazu auch das Ausprobieren und Scheitern gehört», sagt Bühler. Tatsächlich gibt es in der Schau Bilder, die davon zeugen, dass dem Maler der Geduldsfaden riss. Etwa wenn ein roter, aggressiv ausgeführter Pinselstrich die dargestellte urbane Zone fast durchzustreichen scheint. «Ja, genau so etwas kommt vor. Man ist entnervt, wenn das Bild missrät», sagt Schnyder. Man müsse es dann aber trotzdem fertig machen. «Vielleicht liegt es an meiner protestantischen Erziehung, wer weiss das schon so genau.» Am Abend spachtle er die Farbpalette ab und schaue, was man noch daraus machen könne. «Ich habs ja schliesslich gekauft und bezahlt.»
Schnyders Tempelhund im Himmel
Eine Hauptrolle im Werk von Jean-Frédéric Schnyder spielt sein einstiger Hund namens Dritchi, den er in den 80er-Jahren springend, schlafend oder zwischen verschneiten Bäumen rennend verewigte. «Grosses Wasser» bedeute der Name dieses tibetanischen Tempelhundes, der ein Familienmitglied gewesen sei. «Ich wollte ihn einfach mal abmalen.» Schliesslich stellte er den Hund gar im Himmel dar und zwar als Maler – die wohl glücklichste Fügung, die der Künstler sich für ihn ausdenken konnte. Das Bild sei, was man sehe. «Ein Endpunkt.» Aber: «Ich habe keine genaue Vorstellung von der geistigen Welt. Da kann ich nicht weiterhelfen.»
Jean-Frédéric Schnyder
Bis So, 29.5., Kunstmuseum Bern
Weitere Einzelausstellung:
Fr, 25.2.–So, 15.5., Kunsthalle Bern