Draussen: Reifen quietschen, der Bahnübergang klingelt. Güterwagen scheppern, ein Motor heult auf, ein Hund bellt. Drinnen: endliche Ruhe! Oder etwa doch nicht? Die WC-Spülung rauscht aus der Nachbarwohnung, der Geschirrspüler piepst am Ende des Waschgangs, das Natel surrt beim Empfang einer Mitteilung. Wir leben in lärmigen Zeiten. Irgendein Gerät buhlt immer lautstark um unsere Aufmerksamkeit. Und richtet man sich nach dem Schwellenwert der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist mittlerweile die Hälfte der Schweizer Bevölkerung auf irgendeine Art Verkehrslärm ausgesetzt. Lärm gilt heute nach der Luftverschmutzung als zweitgrösste Gesundheitsbelastung überhaupt.
Das Museum für Kommunikation in Bern hat sich deshalb einem raren Gut angenommen: der Stille. «Sounds of Silence» heisst die neue Ausstellung, welche Kurt Stadelmann kuratiert. Am Anfang sei die Frage gestanden, was denn Stille überhaupt sei, sagt Stadelmann. «Sie nur an der Abwesenheit von Lärm festzumachen, ist zu einseitig. Stille ist etwas Individuelles – man muss bei sich selber anfangen, sie zu suchen.» Genau das tun Besucher in «Sounds of Silence». Mit dem Kopfhörer tauchen sie in eine dreidimensionale Hörlandschaft ein. Den Pfad wählen sie weitgehend selber, ein Ortungssystem am Hörset sorgt dafür, dass stets die richtige Sequenz eingespielt wird.
Ruhe finden in winterlicher Umgebung
Der Titel der Ausstellung passt, ganz still wird es nämlich nie. Schon auf der Rampe zu den Ausstellungsräumen wird man aus der Kakofonie der Museumslobby entführt: Schritte auf dem Asphalt, Kinderlachen und ein Automotor erzeugen das akustische Bild einer Quartierstrasse. Am Ende der Rampe bilden weisse Vorhänge einen engen Tunnel. Durch diesen entschwindet man vollends in die Welt des Hörens. Auf einer raumhohen Leinwand fallen nun dicke Schneeflocken in eine weite Winterlandschaft. Davor laden Hocker und weisse Sitzsäcke zum Verweilen ein. In den Kopfhörern saust ein leichter Wind, knirscht frischer Schnee unter Stiefeln. Und die ruhige Stimme einer Frau ertönt: die personifizierte Stille. Sie führt die Besucher ab jetzt als kecke, aber unaufgeregte Begleiterin auf dem «persönlichen Weg zur Stille». Vorbei an ein paar spielerischen Hörexperimenten gelangt man bald in den Hauptraum.
Allein im Wald und in der Gefängniszelle
Kurator Kurt Stadelmann und sein Team haben einen losen Parcours aufgebaut, grafische Muster und Architekturen zeigen Stationen an. Wo etwa scharfe Zackenlinien Boden und Wand zieren, gehört die Welt dem Lärm. Gehen Besucher hier einer Reihe hängender Kugeln entlang, ertönen unterschiedlich laute Geräusche: das Schnurren einer Katze – 10 Dezibel. Das Plätschern einer Dusche – 50 Dezibel. Das Heulen eines Staubsaugers – 70 bereits nervende Dezibel. Andernorts werden sie eingeladen, allein anhand von Geräuschkulissen Orte der Stille zu erraten. Wo nur tropft es so?
Hinter Vorhängen aus Fäden taucht man derweil in individuelle Geschichten der Stille ein – der Einsiedler, der in den USA 27 Jahre allein im Wald lebte; der Häftling, der im schallisolierten Raum eingesperrt war. «Stille verliert ihre Köstlichkeit, wenn sie alles ist, was man hat», wird der Gefangene zitiert. Zwischen diesen Stationen markiert eine Reihe grosser farbiger Zylinder Etappen in der Kulturgeschichte des Lärms und der Stille – vom traumatisierenden Trommelfeuer des Ersten Weltkriegs bis zur heutigen Vermarktung der Stille durch die Wellness-Industrie. Den Abschluss bilden schliesslich drei separate Räume: der Nachbau eines vermeintlich ruhigen Hotelzimmers, eine Aufführung des tonlosen Stücks «4:33» vom Avantgarde-Komponisten John Cages und schliesslich ein ruhiger Monolog des Jesuiten Niklaus Brantschen.
Spielerisch-humorvoll und meditativ
«Sounds of Silence» ist eine Ausstellung, die mehr als Spass macht. Fast wie in einem Hörspiel begleitet die Stimme der «Stille» durch den Parcours. Sie lädt einen mal spielerisch-humorvoll, mal eher zurückhaltend dazu ein, Wahrnehmung und Meinung zu Lärm und Stille zu hinterfragen. Gleichzeitig entfaltet der Gang durch diese Hörwelt eine erstaunlich meditative Wirkung: Das Aufsetzen der Kopfhörer entreisst die Besucher dem Alltag. Nur aufs Hören konzentriert, wird man nach und nach ruhiger, verlangsamt seine Schritte – und erinnert sich plötzlich an das Mäuerchen, von dem aus man früher über die Landschaft blickte. Wo man den Vögeln und dem Rauschen der Blätter lauschte. Und plötzlich verspürt man den Drang, wieder einmal dort hinzugehen und einfach nichts tun. Ausser der Stille zu lauschen.
Sounds of Silence
Bis So, 7.7.
Museum für Kommunikation Bern