Otto Dix ist kein Landschaftsmaler. Oder? Dix ist doch der mit dem neusachlichen Porträt seiner ausgemergelten Eltern. Mit dem Triptychon voller Schlachtfeldgräuel. Mit den provokanten Cabaret-Szenen und den grotesken Kriegsversehrten, die Skat spielen.
Und Otto Dix ist eben doch Landschaftsmaler. Nur hat ihn das kollektive Gedächtnis nicht als solchen abgespeichert. Zu wirkungsvoll ist bis heute sein Sozialrealismus, mit dem er Pomp, Armut und Abgründe der 1920er gnadenlos ehrlich auf die Leinwand brachte. Den weniger bekannten Otto Dix (1891–1969) kann man nun im Bündner Kunstmuseum in Chur kennenlernen.
Mit gewohnt scharfem Blick
Der Künstler weilte in den 1930ern zweimal zu Kuraufenthalten im Engadin. Dort fertigte er zunächst Federzeichnungen der Landschaft, später auch Aquarelle und Gemälde. Einige dieser Arbeiten sind nun in der Churer Schau zu sehen, die sich ganz Dix’ künstlerischer und biografischer Verbindung zur Schweiz widmet.
Seinen radikalen Sujet-Wandel hatte der Maler freilich schon vor seinen Schweiz-Aufenthalten vollzogen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird Dix 1933 als Professor an der Kunstakademie Dresden entlassen. Wenig später flieht er mit der Familie vor den ständigen Diffamierungen an den Bodensee.
Dix wendet sich jetzt mit seinem gewohnt scharfen Blick den Landschaften zu. Viele künstlerische Freiheiten bleiben ihm ja auch nicht mehr: Die Nationalsozialisten sehen seine Arbeiten «Kriegskrüppel» und «Schützengraben» als «gemalte Wehrsabotage» und nehmen ihn in ihre Liste der «entarteten Kunst» auf.
Und die Gestapo steht auch in Süddeutschland regelmässig vor seiner Ateliertür und kontrolliert, was er malt. Später wird Dix den Wegzug und seinen Sujet-Wechsel in einem Interview einmal als «private Emigration» bezeichnen.
Die Gesellschaftskritik geschickt chiffriert
Doch es irrt, wer seine altmeisterlich gemalten Landschaftsbilder als Flucht in die Idylle sieht. Wie Otto Dix tickt, lässt sich an einem Selbstporträt aus dieser Zeit ablesen. Es zeigt den Maler, der die Welt mit kritischem Blick fixiert. Im Hintergrund verdeckt ein roter Vorhang zur Hälfte eine fast apokalyptische Berglandschaft.
Dix chiffriert seine grübelnde Weltsicht und Gesellschaftskritik jetzt einfach geschickt. Er versieht seine Landschaften mit furchteinflössenden Stürmen und abgestorbenen Bäumen, ab und an auch mit Hoffnung spendenden Regenbogen.
Bisweilen wird er gar konkret. 1935, im Jahr der Nürnberger Gesetze, malt er das Bild «Jüdischer Friedhof in Randegg». Darauf ist der jüdische Friedhof von Dix’ erstem süddeutschen Wohnort Teil einer bedrückenden Winterlandschaft. In «Aufbrechendes Eis mit Regenbogen über Steckborn» von 1940 zitiert er ebenfalls Zeitgeschehen: Das Schweizer Militär bricht in diesem Winter das Eis auf dem Untersee auf, um sowohl einen deutschen Angriff als auch die Flucht von Menschen in die Schweiz zu verhindern.
Winterliche Landschaften und eine einsame Lärche
Subtiler sind da die Schweizer Zeichnungen und Gemälde, die im Bündner Kunstmuseum erstmals vereint sind. «San Gian im Winter» zeigt das winterliche Engadin mit der Turmruine der Kirche San Gian als melancholische Stimmungslandschaft à la Caspar David Friedrich. Ähnlich ist es bei «Gletscher im Engadin». Im Vordergrund steht eine einsame Lärche – sie sieht aus, als habe sie schon in einem Gewitter gelitten.
Doch der Baum ist nicht tot. Und die Wolken, die sich im Hintergrund über der schroffen Gebirgslandschaft türmen, sehen zwar unheilvoll aus. Aber noch jeder Sturm ist irgendwann wieder verflogen.
Otto Dix und die Schweiz
Sa, 22.6.–So, 27.10.
Bündner Kunstmuseum Chur