Dieser bissige Geselle ist ein Schwertwal aus gebranntem Ton. Er diente als Flasche mit doppeltem Ausguss auf dem Rücken. Vor allem aber zeugt er vom fantasievollen Gestaltungswillen einer Kultur, die heute weitgehend vergessen ist: Wenn da nicht die riesigen Bodenzeichnungen wären, die sich durch die südperuanische Landschaft ziehen, die Geoglyphen. Die Nasca-Periode dauerte knapp 1000 Jahre vor und nach Beginn der heutigen Zeitrechnung.
Ritualort mit 20 Kilometer langen Erdgravuren
Unter dem Titel «Nasca. Peru – Auf Spurensuche in der Wüste» vermittelt das Zürcher Museum Rietberg nun einen Einblick in diese heute schwer verständliche Welt in einer klimatisch extrem trockenen Region. Neben Fotos von den Bodenlinien sind rund 200 Ausgrabungsobjekte zu sehen wie Gefässmalereien, Goldmasken, Musikinstrumente und Textilien. Sie sollen dem Besucher den Alltag in einem ungewöhnlichen Gebiet zwischen den Anden und dem Pazifik näherbringen, soweit sich dieser heute rekapitulieren lässt. Die indianischen Nasca kannten keine Schrift, sie kamen mit Europäern nicht in Kontakt.
Die zum Teil bis zu 20 Kilometer langen, aber nur wenige Zentimeter tiefen Erdgravuren haben sich dank des Klimas gut gehalten. Niemand weiss, wie viele Linien es gibt. Aber sie sind eine touristische Attraktion Perus, besonders diejenigen figürlicher Ausprägung, vornehmlich Tier-Darstellungen wie Affen, Hunde oder Wale. Laut dem Ausstellungstext galt die Hochebene als Ort der Kontaktaufnahme mit dem Übernatürlichen: «Es handelt sich um einen Ritualort» – möglicherweise für Fruchtbarkeitsbeschwörungen. Die Siedlungen waren nicht in einem zentralen Reich organisiert, sondern von Stämmen bewohnt, die sich von Ackerbau und Fischfang ernähren.
Inspirierende Exponate einer unerforschten Kultur
Die weitläufigen Bodenzeichnungen eigneten sich nicht zum Betrachten, sondern wurden begangen: «Menschen haben sich darauf bewegt, sie haben die Bilder rituell abgeschritten.» Dazu spielten sie Musik, keine andere Andenkultur verfügte über einen derart umfangreichen Bestand an Instrumenten. Anscheinend wurden diese Rituale mit «psychoaktiven Substanzen» begangen. Mit andern Worten: Die Nasca dröhnten sich im Kontakt mit dem Höheren zu. So viel Rätselhaftes musste geradezu einen geschäftstüchtigen Autor wie Erich von Däniken auf den Plan rufen, der die Geoglyphen als Landebahnen von Ausserirdischen interpretierte.
Die Herkunft der Nasca-Bewohner ist unklar. Ihr Verschwinden wiederum wird mit wiederholten Erdbeben erklärt, allenfalls auch Klimaveränderungen, die sich in jener extremen Region auf die Lebensqualität verheerend auswirkten. Allerdings blieb die Gegend auch nach dem Verschwinden der Nasca bis zum Kontakt mit den Spaniern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts besiedelt. Die Linien wurden jedoch von späteren Generationen kaum zur Kenntnis genommen; erst die aufkommende Fliegerei vor knapp 100 Jahren zeigte das Ausmass der Gravuren.
Die neue Ausstellung im Museum Rietberg verspricht dem Besucher vieles: inspirierende Exponate von künstlerischem Wert ebenso wie einen Hauch des Mysteriösen, der diese teilweise unerforschte Kultur umweht.
Nasca. Peru
Fr, 24.11.–So, 15.4.
Museum Rietberg Zürich