Ausstellung - Ein Freigeist und seine «entartete» Kunst
Der Künstler Otto Nebel war ein Unfassbarer: Ein Lyriker, ein Maler, ein Philosoph – und vor allem ein Freigeist. Das Berner Kunstmuseum erinnert mit einer Ausstellung an den Avantgardisten.
Inhalt
Kulturtipp 23/2012
Rolf Hürzeler
Eine Farbstudie der Wärme. Der deutsche Künstler Otto Nebel (1892–1973) malte das Bild 1931 als «Farben-Atlas» (rechts). Die Nationalsozialisten werteten packende Werke wie dieses zwei Jahre später als «entartete Kunst». Nebel emigrierte als Verfemter nach Bern, wo er mit Unterbrüchen bis zu seinem Tod lebte. Er blieb zwar immer künstlerisch tätig, ging aber später vergessen. Umso erfreulicher der Mut des Kunstmuseums...
Eine Farbstudie der Wärme. Der deutsche Künstler Otto Nebel (1892–1973) malte das Bild 1931 als «Farben-Atlas» (rechts). Die Nationalsozialisten werteten packende Werke wie dieses zwei Jahre später als «entartete Kunst». Nebel emigrierte als Verfemter nach Bern, wo er mit Unterbrüchen bis zu seinem Tod lebte. Er blieb zwar immer künstlerisch tätig, ging aber später vergessen. Umso erfreulicher der Mut des Kunstmuseums Bern, diesen unkonventionellen Geist mit einer Ausstellung zu würdigen.
Weltbild im Kopf
Otto Nebel gehörte in den 20ern des letzten Jahrhunderts zur Avantgarde. Er experimentierte mit der Sprache, der Kunst und – wie der Ausstellungstitel «Zur Unzeit gegeigt …» belegt – mit Musik. Er wollte all diese Ausdrucksformen zu einem gesamthaften Weltbild verschmelzen. Was ziemlich abstrakt tönt, ist es auch: Nur wenige Zeitgenossen Otto Nebels haben seine Kunst wirklich verstanden – und noch weniger die Nachgeborenen.
Nebel kam 1892 in Berlin zur Welt; er wandte sich dem Hochbaufach zu und besuchte Schauspielunterricht. Der Erste Weltkrieg brachte den ersten Bruch in seinem Leben. Nach langen Fronteinsätzen geriet Nebel in britische Kriegsgefangenschaft.
Danach kehrte er 1919 nach Berlin zurück. Er schloss sich der avantgardistischen Bewegung «Der Sturm» an und machte die Bekanntschaft mit Künstlern wie Paul Klee und Wassily Kandinsky, die seine Malerei mitprägten. Die in Bern gezeigten Bilder aus seinem Nachlass belegen diese Nähe deutlich.
Leben im Exil
Wenig erstaunlich, dass solch einer später vor den Nationalsozialisten flüchten musste. Nebel ging schon 1933 in die Schweiz und vermochte sich mit Unterstützung der Guggenheim Foundation über Wasser zu halten. Wie die Recherchen der Germanistin Bettina Braun zeigen, war Nebel im Berner Exil allerdings alles andere als willkommen. Er erhielt keine Erwerbserlaubnis, und die Aufenthaltsbewilligung musste er während Jahren alle drei Monate erneuern.
Ganz übel die Intrige des Schweizerischen Schriftstellervereins, der dem Berner Arbeitsamt schrieb: «Otto Nebel soll unter allen Umständen die Bewilligung verweigert werden, hier in der Schweiz literarisch tätig zu sein. Am einfachsten wird dieses Ziel erreicht, wenn ihm der Aufenthalt in unserem Land verweigert wird.» Der Dadaist Kurt Schwitters beschrieb laut Brauns Ausführungen, wie er 1935 seinen Freund Otto Nebel in Bern fand, ohne die Adresse zu kennen: «Mit Hilfe eines Hakenkreuzes an der Wand des Wohnhauses am Weissenbühlweg.»
Nebel war in jenen Jahren am Theater-Atelier Bern als Schauspieler engagiert. Der Krieg überforderte Nebels Weltverständnis. Er wandte sich in den frühen 40ern den Schriften des schwedischen Mystikers und Theologen Emanuel von Swedenborg zu (1688–1772), der Gott in der Weisheit und Liebe suchte. Swedenborg war überzeugt, ein Hellseher zu sein.
«Zuginsfeld» – «Zug ins Feld» – heisst der erste expressive Text, mit dem Nebel auf sich aufmerksam machte. Er schrieb das lange Gedicht 1918 in der englischen Gefangenschaft als ätzende Kritik an der Kriegsmaschinerie. Da ist von der «Obersten Verheerungsleitung» die Rede oder von «Henkmälern» statt Denkmälern, «Dieb Vaterland magst ruhig sein» oder «Am Brunnen vor dem Rohre». Der Text erschien in den 20ern in der Zeitschrift «Der Sturm».
Irritierende Sprache
Das Verständnis eines Textes wie «Zuginsfeld» ist heute noch einfach. Schwieriger nachvollziehbar ist die Sprache seines «Runenbuchs» mit dem Titel «Unser, unser Er sie Es.» Ein Gedicht, das Nebels kategorische Ablehnung von Fremdwörtern in der deutschen Sprache deutlich macht. Ab Mitte der 1940er verzichtete er rigoros auf deren Gebrauch, was die Zugänglichkeit zu seinen Schriften erschwerte.
Im «Runenbuch» ordnete Nebel jedem Buchstaben des Alphabets Form und Farbe zu und suchte nach Parallelen zwischen Laut- und Schriftbild. Daraus entwickelt er «Runenfugen», zusammengefasst unter dem Titel «Unfeig. Eine Neun-Runen-Fuge zur Unzeit gegeigt», womit man wieder bei der Berner Ausstellung angekommen ist. Bettina Braun interpretiert diese Arbeiten als einen «Rückbezug auf die Schriftzeichen der Germanen vor dem Hintergrund des Primitivismus der Avantgarde der 20er».
Wem das alles zu umständlich und verworren erscheint, der kann sich in Bern einfach an der Kunst von Otto Nebel erfreuen. Denn diese präsentiert sich deutlich gefälliger und zugänglicher als die Gedankenwelt dieses unnahbaren Menschen.