Es wird ein heisser Tag in Luzern, das ist schon um 10 Uhr morgens spürbar. Ideal also, um sich die neuen Attraktionen des Gletschergartens anzuschauen und dabei zwischen meterdickem, schräg geschichtetem Beton im Fels zu verschwinden. Nach wenigen Schritten ist es kalt und dunkel, das Wasser tropft von den Steinwänden. Und je tiefer man in die Höhlen vordringt, desto mehr fällt man aus Zeit und Ort. Die Felsenwelt, im vergangenen Jahr eröffnet, ist kein Ort für Leute mit Klaustrophobie. Alleine in den Felsen, zwischen Rauschen und dem Hallen weit entfernter Schritte und Stimmen, wird man konfrontiert mit Fakten und Gedanken. Projektionen auf Boden und Wänden werfen Fragen auf, ein Schneegestöber aus Lichtpunkten scheint den eigenen Schatten auf die Felsen zu werfen. In einem unterirdischen Wasserbecken dreht sich gewaltig ein Wasserstrudel, und an einer Wand finden sich Fossilien der Gegenwart. Es ist keine Vermittlung trockener Fakten der Geologie, sondern eine inspirierende Reise durch den Stein – jedenfalls, bis eine pubertierende Schulklasse eintritt, die den Hall der Höhlen für die akustische Steigerung ordinärer Ausrufe nutzt. So bieten die Höhlen für alle etwas. Die Treppe führt zurück ans Licht, hoch zur Sommerau. Dort blickt man hinunter auf den Garten, das neue Bistro und die Wege, die sich am Fels entlangziehen. Durch Sträucher, Blumen und Findlinge aus den vergangenen Jahrmillionen spaziert man wieder hinunter. Es ist erstaunlich, wie sich die modernen Beton-Eingänge in den kleinen, idyllischen Gletschergarten mit seinen historischen Bauten einfügen. Auch der Pavillon, gebaut aus dem ausgebrochenen Sandstein der Felsenwelt. Gerade erst eröffnet, bietet er Wechselausstellungen und einen Film.
Mit einem Murmeli auf Berner-Sennenhund-Suche
Die aktuelle Ausstellung dreht sich bildstark um Leben und Arbeiten von Forscherinnen und Forschern der Arktis. Der Film verbindet etwas gar dramatische Musik mit Informationen über die Entwicklung der Zentralschweizer Landschaft in der Eiszeit. Dabei erfährt man auch die Geschichten einzelner Objekte, die im Gletschergarten anzutreffen sind. Allgemein sind die Erklärungen in angenehmer Kürze gehalten. So auch die neue «Bucket List Tour», ein Audioguide, geschrieben vom Luzerner Theaterautor Christoph Fellmann. Und beim Such-und Hörspiel «Lily und Börni» können Familien gemeinsam mit einem Murmeli auf die Suche nach einem Berner Sennenhund gehen. Das Museum hat unter dem neuen Direktor Andreas Burri mit rund 20 Millionen Franken grosszügig investiert. Nach über 100 Jahren sind die Veränderungen der letzten Jahre die massivsten. Die letzten Investitionen tätigte Marie Amrein-Troller Ende des 19. Jahrhunderts. Die Witwe des Gründers übernahm das Museum 1881, im Alter von 31 Jahren, als Mutter von vier kleinen Kindern. Trotz ihrer Kämpfe, im katholischen Luzern als Frau selbständig ein Unternehmen leiten zu dürfen, investierte Marie Amrein-Troller in innovative Projekte. So liess sie das Bergdiorama des Gornergletschers im Monte-Rosa-Massiv erstellen, liess Wege betonieren, holte das Landschaftsrelief von Franz Ludwig Pfyffer ins Haus. Auch das Spiegellabyrinth, das noch heute bei jedem Besuch dazugehört, liess sie sich von den männlichen Familienmitgliedern nicht ausreden. 15 500 Franken bezahlte sie dafür – eröffnet wurde es im Sommer 1899.
Ein Zufall führte zum Entstehen des Museums
Im ehemaligen Wohnhaus spricht die erste Besitzerin des Gletschergartens aus einem digitalen Gemälde selbst zum Publikum. Natürlich nicht, ohne dieses dazu anzuhalten, bitte die Schuhe abzutreten, bevor man sich in ihre Räumlichkeiten begebe. Hier befindet sich die Sammlung der Gründerfamilie, die von unterschiedlichen Interessen zeugt. Da sind Möbel und Einrichtungsgegenstände, Objekte aus Geologie und Archäologie. In der Abteilung «Alt-Luzern», kann man sich Wohnräume anschauen, die besonders als Kind beeindruckten. Wie kurz die Betten waren, wie heiss die mit glühenden Kohlen befüllten Bettflaschen! Die Sammlung besteht bereits seit Beginn des Museums. Dass der Gletschergarten überhaupt entstand, war Zufall. Eigentlich hatte Josef Wilhelm Amrein-Troller eine Kellerei geplant, als 1872 nach einer Sprengung Gletschertöpfe sichtbar wurden. Amrein-Troller erkannte das Potenzial der Entdeckung, und bereits ein halbes Jahr später eröffnete der Gletschergarten. Im Fokus des Museums standen damals die Gletschertöpfe, die vor 20 000 Jahren entstanden, als die Region Luzern unter einer dicken Eisschicht lag. 20 Millionen Jahre zuvor hätte man sich am selben Ort an einem subtropischen Meeresstrand wiedergefunden. Hier also hängt man als Erwachsene wieder über der Brüstung, und lernt, gefühlt aufs Neue, dass es nicht Mahlsteine sondern Wasserwirbel waren, die diese Löcher schufen.
Höhepunkt kindlicher Erinnerung
Auf dem Weg zum Ausgang geht es vorbei an einem weiteren Höhepunkt der eigenen kindlichen Erinnerungen: an den gewölbten Spiegeln, die das eigene Spiegelbild verformen, die Köpfe und Arme in die Länge ziehen, Bäuche und Beine scheinbar zusammenstauchen. Ein Vater und seine Tochter amüsieren sich davor prächtig. Vor dem historischen Eingangshüttchen haben sich mittlerweile Familien und Ausflugsgruppen eingereiht, Touristen versammeln sich um den Wei- her beim Löwendenkmal. Und zwei Jungen brüsten sich mit ihren Abenteuern im Spiegellabyrinth.
Gletschergarten Luzern
Täglich, 10.00–18.00
www.gletschergarten.ch