Eine Weihnachtssammlerin erkennt man auch im grössten Gewusel sofort. Die Ausstellungsräume des Museums Kloster Muri sind hell erleuchtet, Museumsmitarbeiterinnen arrangieren Samichlausfiguren und polieren Vitrinen. Und Evelyne Gasser steht mittendrin, um den Hals eine feingliedrige Kette mit einem glitzernden Christbaum. An diesem grauen Novembernachmittag wird hier gerade die Weihnachtsausstellung «Advent! Advent!» aufgebaut.
Weihnachtsmänner, Adventskalender und eine Tiroler Krippe – ein Grossteil der Objekte stammt aus Gassers Beständen. Seit über 40 Jahren sammelt die 84-Jährige Kalender, Krippen und Chläuse. Sie sagt: «Meine Sammlung bedeutet für mich Lebensqualität.» Gasser steht vor einer Wand mit Türchenkalender und lässt kurz den Blick schweifen. Hier schüttelt Frau Holle glitzernden Schnee aus einer Bettdecke. Dort tragen sieben Zwerge Geschenke zu einem Häuschen im verschneiten Wald.
«Adventskalender sind meine grosse Liebe», sagt sie. Vor allem deren Geschichte habe sie gepackt.
«Bei uns gab es immer ein schönes Fest»
Die Sammlerin besitzt unzählige Exemplare von Adventskalendern von den Anfängen im 20. Jahrhundert bis in die 1970er. Einige spezielle Exemplare aus den 1930ern und 1940ern liegen in Muri in einer Vitrine. Gasser weiss über jeden etwas zu erzählen: ein Heft zum Einkleben von Abziehbildern, ein Abreisskalender, dessen bebilderte Rückseite.
Letztere habe sie auf eBay günstig ersteigern können, weil der Verkäufer gar nicht wusste, was er da eigentlich anbot. Erzählt Evelyne Gasser diese Anekdote, legt sich kurz ein verschmitztes Lächeln auf ihr Gesicht – man wird es noch öfters zu sehen bekommen. Im nächsten Raum bleibt Gasser vor alten Zeitungswerbungen stehen und studiert fast andächtig die rotwangige und gutmütige Figur darauf: den Coco-Cola-Weihnachtsmann.
«Den finden ja nicht alle gut, aber ich mag ihn.» Gasser fährt mit dem Finger über das Glas einer der gerahmten Annoncen, bis sie das Datum der Zeitungsausgabe gefunden hat: 1953. Noch immer löse sie jedes Jahr die weihnachtlichen Cola-Etiketten ab, erzählt sie. Fragt man die Sammlerin nach dem Ursprung ihrer Leidenschaft, findet man sich rasch tief in ihrer Biografie wieder.
«Wir haben uns schon als Kinder sehr auf Weihnachten gefreut. Bei uns gab es immer ein schönes Fest, und das war ja auch das einzige Mal im Jahr, dass wir ein Geschenk bekamen.»
Die Adventskalender werden wiederverwertet
Gasser wächst mit zwei Schwestern in Lenzburg auf. Der Familie geht es gut, dennoch sind ihre Eltern nicht verschwenderisch. Die Adventskalender sammelt die Mutter nach Weihnachten wieder ein, schliesst die Törchen und schreibt den Namen der jeweiligen Tochter hinten drauf. Im Jahr darauf verteilt sie die Kalender wieder neu unter den Kindern.
Gasser beginnt schon als Kind, weihnachtliche Gegenstände zu sammeln. So richtig zum Hobby wird das Ganze dann in den frühen 1980er-Jahren, nach der Schulzeit ihrer Söhne. Oder wie sie selber mit amüsiertem Ton zusammenfasst: «Mit dem Sammeln läuft es doch immer gleich: Man hat eins, dann drei, dann fünf Exemplare von etwas – und auf einmal sammelt man.» Schon bald organisiert Gasser auch fast jedes Jahr Ausstellungen mit ihren Schätzen. «Ich sammle, ich horte nicht.»
Als ob der Satz nicht bestimmt genug gewesen sei, schickt sie noch die Geschichte eines Sammlers nach, der ihr einen begehrten Kalender wegschnappte, nur um ihn in der Schublade verschwinden zu lassen. «Mir hat es halt immer Freude bereitet, meine Schätze anderen Menschen zeigen zu dürfen.» Und auf dem Weg in den letzten Raum schwärmt sie von vergangenen Ausstellungen und berichtet von ihrer ausgiebigen Recherchearbeit. Nur auf die Frage, weshalb sie keinen Christbaumschmuck sammle, überlegt Gasser einen Moment länger als gewohnt.
«Der ging mir nie richtig ans Herz», tastet sie sich schliesslich vor. Den Christbaumschmuck, den sie besass, habe sie schon vor längerem einem anderen Sammler verkauft. Wieder das verschmitzte Lächeln.
«Und dann mache ich doch noch eine»
«Das ist typisch Giner.» Evelyne Gasser steht vor der grossen Krippenlandschaft. Eben hat sie die Figur eines liegenden Bettlers hochgehoben und zeigt auf die Schuhe. Die sind vorne offen, mehrere Zehen lugen hervor. Das Krippenspiel ist Gassers ganzer Stolz. Ein Teil der Figuren stammt aus dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert – Arbeiten aus der Werkstatt des berühmten Tiroler Bildhauers Johann Giner der Ältere.
Im Schatten einer Ruine hält Maria das Jesuskind. Die drei Könige und einige Engel haben sich um sie herum aufgestellt. Auf einer Wiese haben sich Hirten mit ihren Tieren niedergelassen. 21 Jahre lang habe immer ihr Mann die Krippe aufgebaut, erzählt die Sammlerin. Mit 92 Jahren fehle ihm jetzt die Kraft, um den ganzen Tag dabei zu sein. Ein nachdenklicher Ton hat sich in Gassers Erzählung eingeschlichen. «Ich habe darauf bestanden: Die Krippe stellt niemand anderes auf als mein Sohn und ich.»
Aber es falle eben auch ihr mit zunehmendem Alter nicht mehr ganz so leicht, solche Ausstellungen vorzubereiten. Jedes Jahr sage sie, dies sei die letzte gewesen. «Und dann mache ich doch noch eine. Aber das ist halt mein Lebenswerk.» Der Schalk ist wieder zurück in Evelyne Gassers Stimme. Und der kleine Stern auf der Spitze des Christbaums an ihrem Hals funkelt kurz im Deckenlicht.
Advent! Advent!
Bis So, 7.1., Museum Kloster Muri AG
Weitere weihnachtliche Ausstellungen
Riesen-Weihnachtskugeln
Bis So, 7.1., Chaplin’s World Corsier-sur-Vevey VD
Stille Nacht?
Bis So, 7.1., Museum der Kulturen Basel
Weihnachten in den Niederlanden
Bis So, 7.1. Schweizer Kindermuseum Baden AG
Weihnachten und Krippen
Bis So, 7.1. Landesmuseum Zürich
Warum schenken wir? Gabentausch rund um die Welt
Bis So, 21.1. Kulturmuseum St. Gallen
I’m Dreaming of a White Christmas
Bis So, 4.2., Spielzeug Welten Museum Basel
24 Tage Vorfreude – Adventskalender aus 120 Jahren
Bis Mi, 7.2. Museum Appenzell