Ausstellung: Die Seele eines Kreises
Das Gewerbemuseum Winterthur präsentiert animierte Videoarbeiten und Installationen des Schweizer Illustrators und Künstlers François Chalet.
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Kulturtipp 20/2022
Simon Knopf
Einem Animisten ist alles in der Natur heilig. Denn er glaubt, dass vom Tier bis zum Stein alles eine Seele besitzt. Vielleicht ist François Chalet also so etwas wie der Animist unter den zeitgenössischen Illustratoren und Animatoren. Denn in den Arbeiten des in Zürich lebenden Genfers ist ein Dreieck nie einfach nur ein Dreieck, ein Kreis nie einfach nur ein Kreis. Nein, bei ihm werden daraus Fische, Frösche und ulkige Stadtbewohner. Diese Figuren wirken, als hätte...
Einem Animisten ist alles in der Natur heilig. Denn er glaubt, dass vom Tier bis zum Stein alles eine Seele besitzt. Vielleicht ist François Chalet also so etwas wie der Animist unter den zeitgenössischen Illustratoren und Animatoren. Denn in den Arbeiten des in Zürich lebenden Genfers ist ein Dreieck nie einfach nur ein Dreieck, ein Kreis nie einfach nur ein Kreis. Nein, bei ihm werden daraus Fische, Frösche und ulkige Stadtbewohner. Diese Figuren wirken, als hätten sie ihren geometrischen Grundformen schon immer innegewohnt. François Chalet hat sie einfach freigelassen. Mit seiner markanten Bildsprache hat sich der 52-Jährige in mehr als zwei Jahrzehnten über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Als Comiczeichner und Illustrator arbeitete er zunächst noch analog mit Papier, Schere und Kleber. Später entdeckte er den Computer für sich. Erstmals auf sich aufmerksam machte Chalet Mitte der 90er mit «KuhNo», dem Helm tragenden und überaus sympathischen Kuh-Maskottchen der Gruppe Schweiz ohne Armee GSoA. Um die Jahrtausendwende folgten erste internationale Aufträge. 1998 entwarf er den Fernsehspot für die MTV-Sendung «Alarm!». 2001 war er dann erneut für den Musiksender tätig: Chalet gestaltete das Zeichentrick-Intro für die European Music Awards 2001. Lang ist die Liste seines bisherigen Schaffens: Werbeclips für Autobauer wie Nissan und Beiträge für Trickfilmfestivals wie das Fantoche. Lichtshows wie «Oktogon», für die er den Luzerner Wasserturm mit einer 360-Grad-Projektion bespielte. Oder sein einnehmendes kleines Gespenst, das er fürs Luzerner Theater animierte.
Funktional und verspielt zugleich
Chalets Stil ist zum einen durch und durch in der Schweizer Designtradition verankert. Seine Formensprache basiert in weiten Teilen auf den geometrischen Grundformen Rechteck, Dreieck und Kreis und erinnert an die funktionalen und eleganten Entwürfe, mit denen sich Schweizer Grafikdesigner ab den 1950ern in ganz Europa einen Namen machten. Gleichzeitig weisen Chalets Arbeiten aber eine Verspieltheit auf, die sich in der japanischen Zeichentricktradition verankern lässt. Figuren reissen ihre Münder auf, wenn sie lachen. Die Haare stehen ihnen als elektrisierte Wellenlinien vom Kopf ab. In Animationen verwandelt er Batterien und Montageroboter in freundliche Wesen, für die Fotoserie «House Faces» gar Häuser, Hydranten oder Eisen- bahnbrücken. Sie alle scheinen mit den Tsukumogami verwandt zu sein, den beseelten Alltagsgegenständen aus dem japanischen Volksglauben.
Animiertes aus 15 Jahren in einer Werkschau
In dieses Universum von ulkigen Wesen entführt nun das Gewerbemuseum Winterthur. «François Chalet – Short Stories» zeigt animierte Videoarbeiten und Installationen aus 15 Jahren. Etwa «Hands up», einen raumgreifenden Zeichentrickfilm, den Chalet 2007 für die Bank Valiant schuf. Oder die interaktive Installation «Fischli» von 2015, bei der Besucher per Mausklick Bälle in einen animierten Teich werfen und so das dortige Geschehen beeinflussen. Oder die ebenfalls interaktive Arbeit «Shake it» die er am LiLu Lichtfestival Luzern 2019 zum ersten Mal aufführte. Hierfür hat er eine Schneekugel mit mehreren Projektoren verbunden. Wer die Kugel schüttelt, lässt im ganzen Raum die Schneeflocken tanzen. Und der Schneemann in der Kugel purzelt und taumelt, bis er irgendwann in einen Haufen aus Halbkreisen zerfällt. Wenig später setzen sich diese zu einem Frosch mit Zylinder zusammen. Ja, auch geometrische Formen haben eine Seele. Jemand muss sie uns einfach zeigen.
François Chalet – Short Stories
Fr, 23.9.–So, 8.1.
Gewerbemuseum Winterthur ZH