Und dann war der Hibiscadelphus wilderianus Rock weg. Ein Biologe hatte 1910 ein letztes Exemplar des Malvengewächses an den Flanken des Mount Heleakala auf Maui, Hawaii, entdeckt: einige wenige Meter hoch und mit grün-roter Blüte. Zwei Jahre später galt die Baumart als ausgestorben – Viehzüchter hatten das letzte bisschen Urwald abgeholzt.
Im einstigen Lebensraum des Malvengewächses
Alexandra Daisy Ginsberg hat die Pflanze wiederbelebt – als digitale Rekonstruktion und Geruchserlebnis. Dafür hat die englische Künstlerin und Forscherin mit einer Biologin und einer Biotech-Firma zusammengearbeitet. Aus Pflanzenproben des Harvard University Herbarium entnahm das Team DNS und reproduzierte die Duftmoleküle. Das Resultat ist die Installation «Resurrecting the Sublime»: Eine animierte Videosequenz entführt einen in den einstigen Lebensraum des Malvengewächses. Nebelschwaden ziehen durch eine Buschlandschaft, wie sie einst den Mount Heleakala bedeckte. Dazu versprüht ein Diffusor den Blütenduft.
Erleben kann man die olfaktorische Reise in die Vergangenheit nun im Vitra Design Museum im deutschen Weil am Rhein. Dieses zeigt mit der Ausstellung «Alexandra Daisy Ginsberg: Better Nature» sechs Arbeiten der Britin und führt in deren spannendes Schaffen ein. Die ausgebildete Architektin und Interaktionsdesignerin beschäftigt sich mit jener Prämisse, die allem Design zugrunde liegt: mit dem Wunsch nach Verbesserung. Doch die 37-Jährige stellt kritische Fragen: Was bedeutet eigentlich «besser»? Besser für wen? Und wer entscheidet das?
Dafür hat sich Ginsberg in den vergangenen zehn Jahren des Themenkreises Mensch und Natur angenommen. Sie setzt sich vorwiegend mit der Synthetischen Biologie auseinander, jenem wissenschaftlichen Feld, das im Labor biologische Systeme wie Zellen und Organismen entwirft oder verändert.
Zwischen Faszination und Ärger über die Menschheit
Für das Werk «E. Chromi» von 2009 entwickelte sie mit Biologen der Cambridge University Bakterien, die den Menschen vor Krankheiten warnen können. Für «The Synthetic Kingdom» von 2009 schuf sie aus einem Lungentumor und Bakterien eine Art Luftverschmutzungs-Detektor.
Diese zwei Projekte sind in Weil am Rhein ebenso zu sehen wie «Design for the Sixth Extinction» (2013–2015). Darin beschreibt sie eine Reihe fiktiver, künstlicher Begleitspezien, die bedrohte Pflanzen und Tiere unterstützen sollen: Eine Art pulsierende Pilz-Blase entgiftet kranke Eichen. Oder kleine, borstige Wurmtiere verteilen Pflanzensamen. Ginsberg präsentiert diese Vision des Umweltschutzes als Installation aus Funktionsgrafik, digital bearbeitetem Wald-Foto und 3D-Modell eines der Wesen. Hinter der wissenschaftlichen Akribie, mit der die Künstlerin arbeitet, steckt eine Absicht: Die Besucher sollen sich kritisch mit dem eigenen Natur-Bild und dem technischen Fortschritt befassen.
Ist der Aufwand der Synthetischen Biologie gerechtfertigt? Darauf gab Ginsberg in einem Interview bereits selber einmal eine Antwort: «Weshalb müssen wir synthetische Organismen erfinden, die Bäume oder Korallen retten, wenn wir eigentlich verhindern müssten, dass diese Lebewesen überhaupt vom Aussterben bedroht werden?»
Alexandra Daisy Ginsberg löst in den Betrachtern ihrer Werke widersprüchliche Gefühle aus: hier Faszination für die Möglichkeiten der Wissenschaft, dort Ärger über die Kurzsichtigkeit und Unachtsamkeit der Menschheit. Ja, wir können den ausgestorbenen Hibiscadelphus wilderianus Rock wieder riechen. Aber haben wir das auch verdient?
Alexandra Daisy Ginsberg: Better Nature
Sa, 20.7.–So, 24.11.
Vitra Design Museum Weil am Rhein (D)