Wer in Japan ein Haus betritt, zieht Hausschuhe an. Auch die japanische Künstlerin Teruko Yokoi bietet ihrem Besuch ein Paar Finken an, bevor sie in ihre Wohnung in der Berner Altersresidenz Egghölzli bittet. Es gibt hier ein paar wenige Originale an den Wänden. Doch Yokoi verweist zuerst auf ein Foto in einem kleinen Lederrahmen. «Das ist Sam Francis und meine Tochter», erklärt sie. Nur kurze Zeit war sie mit Francis (1923–1994), dem US-amerikanischen Zampano des abstrakten Expressionismus, verheiratet.
Ein typisches Frauenschicksal
Als der Schweizer Kurator Arnold Rüdlinger damals das gemeinsame Heim aufsuchte, um Sam Francis zu interviewen, entdeckte er die Gemälde von Teruko Yokoi, die er zuerst für Arbeiten von Sam Francis hielt. «Sam, malst du jetzt auch zu Hause?», habe er gefragt. Er sei aufgeregt gewesen, als er die Gemälde schliesslich als das ihrige Werk entdeckt habe. Rüdlinger präsentierte Yokois Malerei 1964 gemeinsam mit Werken von Walter Bodmer und Otto Tschumi in der Kunsthalle Basel.
Zwei Jahre zuvor war Yokoi nach Bern gekommen. Abgesehen von der Galerie Kornfeld, die ihr Werk in regelmässigen Abständen zeigte, wurde sie verkannt. Ein typisches Frauenschicksal dieser Zeit. Inzwischen sind viele Institutionen erwacht und haben ein Bewusstsein dafür entwickelt, wie männerdominiert die Kunstwelt nach wie vor ist.
Die Ausstellung «Teruko Yokoi. Tokyo – New York – Paris – Bern» stehe in einer Reihe mit Projekten des Kunstmuseums Bern, die bedeutenden Frauenfiguren der Schweizer Kunstgeschichte gewidmet seien, schreibt Direktorin Nina Zimmer im Vorwort des Katalogs, der zur Ausstellung erscheint. Yokoi sei einerseits Teil der Berner Kunstgeschichte, anderseits aber auch Zeitzeugin einer internationalen Strömung, welche die Kunstgeschichte im 20. Jahrhundert geprägt habe.
Von Tokyo in die Welt hinaus
Die Künstlerin selbst war zuerst wenig begeistert von dem Projekt. «Es kommt sehr spät», fand sie. Ihre Tochter und ihre Assistentin konnten sie schliesslich überzeugen, die Ausstellung zu machen. Die Freude über die späte Anerkennung steht ihr nun ins Gesicht geschrieben. Sie spricht augenzwinkernd von «revenge» – und lässt dabei offen, ob sich die Rache auf ignorante Institutionen, den Ex-Mann, in dessen Schatten sie zweifellos stand, oder die Kunstwelt als Ganzes bezieht.
Kuratorin der Ausstellung ist die polnische Philosophin Marta Dziewanska, die bereits die Ausstellung «Alles zerfällt. Schweizer Kunst von Böcklin bis Valotton» für das Kunstmuseum Bern konzipierte. Von Teruko Yokoi vereint sie rund 60 Werke aus den 50er- und 60er-Jahren zu einer kleinen, dichten Schau. Anhand von Fotografien wird das aufregende Leben der Künstlerin dokumentiert, die 1924 in Tsushima geboren wurde. Ihr Vater war ein Kalligraf und Dichter. «Er war sehr berühmt für seine Haikus», erinnert sich Yokoi. Er habe freestylemässig gedichtet, mit den allgemeingültigen Regeln des Haikus gebrochen. Und: «Er bewunderte mich sehr, weil ich auch gut mit Worten umgehen konnte.»
Dieser poetische Hintergrund ist in Yokois gestischer Malerei stets präsent. In den abstrakten Kompositionen scheint etwas Geheimnisvolles zu liegen. Yokois Mutter förderte das Talent ihrer Tochter sehr früh. Sie sorgte dafür, dass sie Malunterricht bekam. An ihren ersten Lehrer erinnert sich die Künstlerin nicht mehr genau. «Er roch nach Zigaretten», sagt sie lachend. Mit 25 verliess sie die Provinz Richtung Tokio, wo sie Kunst studierte. Kaum 30, bot sich ihr die Gelegenheit, in die USA zu reisen. Das einstige Gefängnis Alcatraz sei das erste gewesen, das sie gesehen habe, als das Schiff in San Francisco angekommen sei.
Das Zusammentreffen mit Sam Francis
Man erkannte ihr Talent sofort. Yokoi erhielt ein Stipendium für besondere Leistungen. Doch sie zog weiter nach New York, wo sie bei Hans Hofmann, einem wichtigen Vertreter des abstrakten Expressionismus, Unterricht nahm. In New York traf sie schliesslich Sam Francis, den sie 1959 heiratete. Bereits verheiratet sei er gewesen, als sich ihre Blicke bei der Eröffnung des Museum of Modern Art zum ersten Mal kreuzten. «Er hatte schöne stechend blaue Augen», sagt Yokoi schelmisch. Das Paar zog nach Paris. «Es war das Zentrum damals», so die lapidare Antwort auf die Frage, warum sie erneut umgezogen sei.
Von der klassischen Moderne beeinflusst
Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern folgt nun Teruko Yokois wichtigen Stationen und zeigt dabei auf, wie die vom Osten wie vom Westen beeinflusste Künstlerin ihre ureigene Sprache entwickelte. Sie war von der klassischen Moderne beeinflusst, machte dabei aber stets ihr eigenes Ding. Es gibt wiederkehrende Gesten und Motive. Das Grosszügige und das Zarte widersprechen sich dabei nicht. Ein geometrisches Element, das Yokoi selbst als «Open Diamond» bezeichnet, findet man auf mehreren Gemälden. Die genaue Bedeutung mag oder kann sie nicht erläutern. Man könnte in der harmonischen Verschmelzung von östlichen wie westlichen Einflüssen etwas Politisches erkennen. Doch Yokoi winkt ab. «Politik hat mich nie interessiert. Vielleicht bin ich deshalb so alt geworden.»
Teruko Yokoi. Tokyo – New York – Paris – Bern
Fr, 31.1.–So, 10.5.
Kunstmuseum Bern