Ausstellung - Die Kunst in Träumen
Die vor fast 30 Jahren verstorbene Künstlerin Meret Oppenheim prägt die Schweizer Kunst noch heute mit. Das Berner Kunstmuseum dokumentiert ihren Einfluss in einer neuen Ausstellung.
Inhalt
Kulturtipp 21/2012
Rolf Hürzeler
Ein Traum? Ein Albtraum gar? Vielleicht ein schmerzhafter Gedanke nur oder eine Erinnerung, die sich nicht verdrängen liess. Der Betrachter dieses Bildes (rechts) der deutsch-schweizerischen Künstlerin Meret Oppenheim weiss es nicht. Auch der Titel «Cadavres exquis. Le rossignol qui joui» hilft nicht weiter. Klar ist einzig, dass hier Trauer und Freude nahe beieinander sind: Die Vorstellung einer Nachtigall, die sich über besondere Leichen freut, erscheint...
Ein Traum? Ein Albtraum gar? Vielleicht ein schmerzhafter Gedanke nur oder eine Erinnerung, die sich nicht verdrängen liess. Der Betrachter dieses Bildes (rechts) der deutsch-schweizerischen Künstlerin Meret Oppenheim weiss es nicht. Auch der Titel «Cadavres exquis. Le rossignol qui joui» hilft nicht weiter. Klar ist einzig, dass hier Trauer und Freude nahe beieinander sind: Die Vorstellung einer Nachtigall, die sich über besondere Leichen freut, erscheint ziemlich sinnlos. Darf sie auch, denn Surrealismus ist angesagt. Verbürgt ist, dass Meret Oppenheim (1913–1985) ihre Träume jeweils sorgfältig notierte – anstelle eines Tagebuchs.
Im steten Zwist
Das Berner Kunstmuseum zeigt diese Traum-Collage in der neuen Ausstellung «Merets Funken. Surrealismen der zeitgenössischen Schweizer Kunst». Die Schau soll dokumentieren, wie prägend der Einfluss einer der wichtigsten Gestalterinnen der Schweizer Kunst ist. Und wie die heutige Generation ihr Vermächtnis eigenständig weiter-entwickelt. «Meret Oppenheim hatte zwar keine Schüler, doch ihr Werk und ihr Leben sind heute noch Inspirationsquelle für Jüngere», heisst es seitens des Museums dazu.
Meret Oppenheim war eine, die mit sich und der Kunst kämpfte. Vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin geboren, wuchs sie in der Schweiz und in Süddeutschland auf. Zu Beginn der 30er-Jahre zog sie nach Paris und fand dort in Künstlerkreisen rund um André Breton und Marcel Duchamp Anschluss. Aus jener Zeit stammt die Pelztasse, die sie weltberühmt machte.
Meret Oppenheim kehrte ein paar Jahre später in die Schweiz zurück, sie schloss sich der antifaschistischen Basler Künstlergruppe 33 mit Otto Abt und Walter Bodmer an. Die Nazizeit war eine unmittelbare Bedrohung für ihre jüdische Familie in Deutschland, der Vater musste in die Schweiz fliehen, Oppenheim geriet in finanzielle Nöte. Der Krieg stürzte sie in eine Sinnkrise, und sie litt vor allem unter der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung, der Künstlerinnen zukam. Erst in den 50er-Jahren fand sie wieder zum künstlerischen Ausdruck zurück, damals lebte sie in Bern und Paris.
Das Kunstmuseum Bern zeigt mehr als 60 Werke Oppenheims und verfolgt darüber hinaus eine didaktische Absicht: Anhand konkreter Werke junger Künstler soll der Besucher erkennen, wie intensiv Oppenheims Einfluss heute spürbar ist. Im Einzelfall ist der Zusammenhang wörtlich greifbar, wie das Werk «Handschuh» von Oppenheim und die von der 38-jährigen Zürcher Malerin Tatjana Gerhard geschaffenen Hände belegen (Bilder ganz oben). Aber Vorsicht: Der Betrachter tut Gerhard unrecht, wenn er sie in einen direkten Bezug zu Oppenheim stellt. Sie hat die Idee des Vorbilds vielleicht gekannt, die Aussage der Hände aber grundlegend verändert. Bei Oppenheim wirken die Handschuhe anatomisch und entmenschlicht. Bei Gerhard scheinen die Hände zu sprechen.
Sichtbare Bezüge
Bei andern Künstlern sind die Bezüge weniger offenkundig, etwa bei dem Werk «Bohrorgel 8» der Basler Künstlerin Maya Bringolf (Bild rechts oben). Hier ist eine direkte Gesellschaftskritik erkennbar, in einer Heftigkeit, wie man sie bei Oppenheim nicht finden würde. Bringolf zeigt die Bohrinsel als barocke Kirchenorgel; der Gedanke an modernes Götzentum liegt nahe. Oder ist wiederum alles nur ein Traum? Dann würde sich Oppenheim darüber besonders freuen.
Das Berner Kunstmuseum hat vorwiegend Künstlerinnen wie Bringolf, Gerhard oder Vidya Gastaldon ausgewählt. Nicht zufällig, denn Oppenheim verstand sich als Feministin, als eine, die sich für die Rechte ihrer Mitkünstlerinnen einsetzte. Sie machte das 1975 bei der Verleihung des Basler Kunstpreises deutlich: «Ich möchte sagen, dass man als Frau die Verpflichtung hat, durch seine Lebensführung zu beweisen, dass man die Tabus als nicht mehr gültig ansieht, mit welchen Frauen seit Jahrtausenden in einem Zustand der Unterwerfung gehalten wurden.»