Erst Corona hat eine breite Öffentlichkeit dafür sensibilisiert: Um die finanzielle Lage der Schweizer Kulturbranche steht es nicht gerade gut. Vor allem freischaffende Künstlerinnen und Künstler leben oft in prekären Situationen. Das Problem sei schon länger bekannt, sagte Pro-Helvetia-Direktor Philippe Bischof kürzlich gegenüber Radio SRF 2 Kultur, Corona habe die Situation lediglich zugespitzt.
Überraschend und mit aktuellem Bezug
Diesem Umstand wird auch bei der diesjährigen Vergabe der Kunststipendien der Stadt Zürich Rechnung getragen. Das Ressort Bildende Kunst hat entschieden, die gesamte Stipen-diensumme zu gleichen Teilen unter den nominierten Künstlern zu verteilen. Normalerweise vergibt die Stadt Werkstipendien von je 10 000 bis 18 000 Franken an neun Kunstschaffende. Dazu kommen die Atelier-Stipendien in Genua, Paris und Kunming, die 2020 im üblichen Rahmen gesprochen werden.
Wer sich für eines dieser Stipendien bewirbt, reicht ein Dossier und den Beschrieb einer neuen Arbeit für die Stipendienausstellung im Helmhaus ein. An dieser Schau nimmt teil, wer es in die zweite Runde schafft. Im Schnitt würden sich jeweils etwa 200 Künstlerinnen und Künstler bewerben, sagt Sabine Rusterholz Petko. Die Kunsthistorikerin ist Präsidentin der Kommission für Bildende Kunst der Stadt Zürich und war dieses Jahr Jury-Mitglied. Bei der Auswahl richtet sie ihren Blick auf mehrere Kriterien: Sind die Arbeiten eigenständig, überraschen sie? Kann die Stadt einem jungen Künstler Anschubhilfe leisten oder einer gestandenen Künstlerin einen mutigen Karriere-Schritt ermöglichen? Entscheidend sei vor allem aber, wie sich ein Werk mit der Gegenwart auseinandersetze, so Rusterholz. «Die Arbeiten sollen Themen aufgreifen, die aktuell sind und die Menschen interessieren.» Und schliesslich sei auch wichtig, dass Geschlechter und verschiedene Medien ausgewogen vertreten seien.
Susanne Hefti – die «forschende Künstlerin»
Die Bedeutung eines solchen Stipendiums verdeutlicht Susanne Hefti. Sie bewarb sich dieses Jahr für ein Werkstipendium und kam in die zweite Runde. «Gerade für etwas längere Recherchen oder der Arbeit an Werken, die nicht unbedingt markttauglich sind, bin ich auf diese Art der Förderung angewiesen.» Diese ermögliche auch einmal eine Recherchereise oder in ihrem Fall die Beschaffung von Material für die analoge Fotografie.
Hefti bezeichnet sich selber als «forschende Künstlerin». Eine treffende Bezeichnung. Die Arbeiten der 36-Jährigen werfen oft einen kritischen Blick auf öffentliche Räume: Neoklassizistische Gebäude, die Nordmazedoniens Populisten in Skopje errichteten. Oder aktuell eine Sammlung von Kunstbüchern, die zwei deutsche Institute der kosovarischen Nationalbibliothek spendeten. Hefti verbindet dokumentarische Fotografie, Texte und Audioelemente zu Installationen. Sie legt Ideologien und verborgene Machtverhältnisse offen – thematisiert aber immer auch die eigene Position als Forschende.
Das Bewerben auf Stipendien, Atelieraufenthalte und Ausschreibungen für Ausstellungen gehört für Susanne Hefti fix zu ihrer Arbeit. Förderung bedeute eben auch Freiheit: «Sie erlaubt es mir, ohne zeitliche Unterbrechungen durch andere Verpflichtungen an einem künstlerischen Projekt arbeiten zu können.»
Pascal Sidler – Maler mit Experimentierfreude
Ähnlich klingt es beim Maler Pascal Sidler. Er erhielt letztes Jahr ein Werkstipendium der Stadt Zürich; für ihn ein finanzielles Polster. Wer wie er nicht durch eine Galerie vertreten sei, dem fehlten oft fixe Einnahmen. «Will ich meine neue künstlerische Position entwickeln, muss ich ausprobieren können», so Sidler. «Das dauert seine Zeit. Ohne das Geld muss ich einen solchen Schritt hinauszögern.» Seit dem letzten Jahr arbeitet er an einer neuen Reihe von Gemälden, in denen er verschiedene Sujets übereinanderlegt. Die Aufsicht auf ein Lavabo bildet dann zum Beispiel den Hintergrund. Darüber schimmern Fragmente eines Stadtbildes durch die Umrisse eines Synthesizers. Es sind faszinierende Landschaften, in denen Grössenverhältnisse, Farben, Schärfen und Unschärfen gegeneinander antreten. Um dies zu erreichen, setzt Sidler auch Air-Brush-Technik ein. Das Equipment dazu ist teuer – das Werkstipendium ermöglichte ihm den Kauf von Spritzpistolen, Kompressoren und den Bau einer Sprühkabine.
Doch Pascal Sidler betont, die Stipendienausstellung sei ebenso wichtig wie das Geld. Denn aus ihr ergäben sich auch mal Verkäufe und Einladungen an andere Ausstellungen. «Das Stipendium ist eine Kombination aus finanzieller Förderung und Unterstützung beim Sichtbarmachen.» Gerade Letztere hat laut Sabine Rusterholz Petko von der Kommission für Bildende Kunst der Stadt Zürich an Bedeutung gewonnen. In den vergangenen Jahren sei die Szene aus kleineren Galerien, die Aufbauarbeit für Künstler leisteten, geschrumpft. «Für Zürich als Kunstzentrum ist es aber wichtig, dass neben etablierten Institutionen die freie Kunst gefördert wird – wir wollen eine lebendige Szene ermöglichen.»
Bleibt noch die Frage, ob sich die Kunstförderung nach Corona nachhaltig verändern wird. Susanne Hefti sieht die Aufteilung der Werkbeiträge auf alle Künstler als wichtiges Statement. Ihre Hoffnung ist es, dass sich dadurch weitere Institutionen anspornen lassen, ihre bisherige Form der Kunstförderung zu hinterfragen. Nun, die Diskussion um das prekäre Künstlerdasein ist eröffnet. Immerhin.
Kunststipendien der Stadt Zürich
Bis So, 30.8.
Helmhaus Zürich
Kunststipendien der Stadt Zürich 2020
Die diesjährige Stipendienausstellung zeigt Arbeiten von 35 Künstlerinnen und Künstlern, die in Zürich tätig sind. Zu sehen gibt es eine ganze Reihe hochaktueller Arbeiten. Etwa Nathalie Bissigs skulpturales Werk «Maskenpflicht» oder Mîrkan Deniz’ Installation «Sîwan – über die Illusion der Sicherheit».