Der Wunsch der Menschen, vermeintlich wichtige historische Momente und Personen als Denkmäler festzuhalten, ist kurios. Denn kein Monument wird die multiplen Wahrnehmungen und das exakte Umfeld eines Geschehnisses je dauerhaft wiedergeben können. Historische Ereignisse geraten in Vergessenheit und werden neu bewertet, Denkmäler werden zur Staffage.
Die Wahrnehmung des öffentlichen Raums
Zu diesem Umstand machte sich vor ein paar Jahren die ägyptische Künstlerin Iman Issa in einem Essay Gedanken. Sie hatte beobachtet, wie ein Lehrer seine Klasse kommentarlos an einem Denkmal für den Jom-Kippur-Krieg vorbeiführte. Die ideologische Wirkung des Monuments war verpufft, nicht einmal mit Ironie wurde es gewürdigt.
Seit bald 20 Jahren widmet sich Issa in Licht-Installationen, Skulpturen, Video-Arbeiten und Fotos unserer Wahrnehmung von öffentlichem Raum. Sie befasst sich mit der Frage, wie viel Fiktion in Erinnerungen und Geschichtsschreibung steckt, wie sich die Bedeutungen von Objekten wandelt.
Issa kam 1979 in Kairo zur Welt, studierte dort Philosophie und Politologie, bevor sie an der Columbia University in New York in bildnerischem Gestalten abschloss. Gerade in den letzten zehn Jahren machte sie mit einer Reihe von Serien auf sich aufmerksam, die sich mit dem Verhältnis zwischen Sprache, Objekten und Geschichte befasst.
Für «Materials» etwa erstellte sie jeweils aus einer Skulptur und einem beschreibenden Titel ihren eigenen Vorschlag für ein öffentliches Denkmal. Ein Stück Mahagoni, an dem eine Quaste baumelt, versah sie mit dem Titel: «Material für eine Skulptur, welche an die Zerstörung eines markanten öffentlichen Monuments im Namen des nationalen Widerstandes erinnert.»
Die Willkür beim Bezeichnen von Objekten
Viel Ironie schwingt in ihren Arbeiten mit: Die Titel assoziieren den Pathos in den üblichen Erzählungen zu Befreiungskriegen. Gleichzeitig fehlen aber konkrete geografische und zeitliche Ankerpunkte. Die Betrachter sind dazu verurteilt, an der Interpretation der Texte und der rätselhaften Monumente zu scheitern. Issa verweist so auf die Unmöglichkeit, vergangene Geschehnisse wirklich akkurat wiederzugeben.
Ähnlich geht die Künstlerin für die Reihe «Heritage Studies» («Kulturerbe Studien») vor, mit der das Kunstmuseum St. Gallen die Ägypterin vorstellt. In dieser Serie beschreibt Issa Artefakte aus Museen in kurzen Texten, denen sie eigene Skulpturen als Interpretationen gegenüberstellt. Es ist, als spielte die Künstlerin mit dem Betrachter das Spiel «Stille Post»: Nur sie kennt das Original. Doch wie eine undeutlich geflüsterte Nachricht verunmöglichen Textbeschrieb und skulpturale Neuinterpretation, sich ein Bild vom ursprünglichen Werk zu machen.
Issa ruft mit ihren Arbeiten ein oft vergessenes Merkmal unseres Sprachsystems in Erinnerung: Die Verbindung zwischen einem x-beliebigen Objekt und seiner Bezeichnung basiert auf Beliebigkeit und Konvention. Und so ist auch jeder Beschrieb eines historischen Objekts oder Kunstwerks stets willkürlich. Daran sollten wir denken, wenn wir das nächste Mal im Museum den Plaketten-Text neben einem Gemälde lesen.
Iman Issa – Surrogates
Sa, 21.12.–So, 26.4.
Kunstmuseum St. Gallen