Patrick Frank sitzt auf dem Drehhocker des Fotoautomaten, sein Oberkörper ist fast zur Hälfte im Innern des Apparats verschwunden. Von aussen sieht es aus, als werde der gross gewachsene Mann gerade von seiner eigenen Maschine verschluckt. Doch dann taucht er wieder auf, in der Hand ein Knäuel verschmiertes Küchenpapier.
Immer wieder streikt die alte Technik
Ein Freitag im Westen von Zürich. Bei der Fotokabine vor dem Helsinki Klub muss die Entwicklerflüssigkeit ausgewechselt werden. «Je nach Verbrauch mache ich das alle zwei Wochen», sagt Patrick Frank. Draussen sind die schlanken Kunststofftöpfe aufgereiht. In der Kabine steht die ganze Front des Apparats wie eine Türe offen. Frank zeigt auf Zylinder, auf Kästen und Kästchen – und auf etwas, das einem kleinen Karussell ähnelt.
So ein analoger Fotoautomat ist äusserst komplex, das muss auch Patrick Frank zugeben. «Das Ding hat aber auch etwas Herziges – es erinnert mich an eine Tinguely-Maschine.» Frank ist eigentlich Komponist und Kulturtheoretiker. Den Automaten vor dem Helsinki betreibt er seit 2013. Einen zweiten konnte er vor einigen Jahren auf dem Zürcher Kanzleiareal aufstellen.
Die Initiative dazu kam von seinem Cousin, der mit seiner Firma in Deutschland mehrere dieser alten Schwarz-Weiss-Automaten betreibt. Frank sieht die Betreuung der zwei Kult-Kabinen als willkommene Abwechslung zur Kopfarbeit. «Es ist ein befriedigendes Gefühl, wenn man ein handfestes Problem lösen kann.» Und solche bereiten ihm die Fotoboxen genügend. Immer wieder streikt die alte Technik. Oder Kunden kicken gegen die Innenwand, dann stimmen die Millimeter genau austarierten Abläufe nicht mehr.
Frank betätigt jetzt einen Kippschalter. Das Karussell, das die Filmstreifen in die Entwickler taucht und dann zur Ausgabe transportiert, setzt zu einer langsamen Proberunde an. Tief drinnen brummt ein Elektromotor. Gemütlich und vertraut.
Fotostreifen, die nach faulen Eiern riechen
Drehstuhl einstellen, Vorhang ziehen, Münzen einwerfen, auf den grellen Blitz warten. Dieses Ritual gehört über Jahrzehnte zur Schweizer Jugendkultur. Teenager setzen sich am freien Nachmittag in die Fotoautomaten, um die neue Frisur vorzuführen. Oder feiern gleich zu viert oder zu fünft ihre Clique. Und warten dann auf die frischen Fotostreifen, die nach faulen Eiern riechen.
Der Fotoautomat, die Freundschaftsmaschine. Dass er zu dem wird, hat viel mit der Schnellphoto AG zu tun. Die betreibt ab den frühen 1960ern landesweit gut 150 Automaten. Als die Konkurrenz in den 1970ern auf Farbe umstellt, bleibt die Firma der Gebrüder Balke bei der günstigeren Schwarz-Weiss-Fotografie. Nora Mathys ist Historikerin und hat zum Thema Freundschaftsfotografie promoviert. Sie nennt mehrere Gründe für die Popularität der Automaten.
Der niedrige Preis ist einer davon. Dass jedes der vier Fotos ein Unikat ist, ein weiterer. «Man kann den Streifen zerschneiden, die Verteilung der Fotos aushandeln, die Bilder verschenken und sammeln.» Ganz wichtig sei schliesslich auch die Rolle des Vorhangs. Denn dieser mache den Fotoautomaten zu einem intimen Ort im öffentlichen Raum. «Hier lässt es sich ungestört mit Grimassen experimentieren. Man kann sich allein oder als Gruppe entfalten – das ist Identitätssuche über die Fotografie.»
Zum Experimentier- und Spassraum wird der Foto - automat fast mit seiner Geburt. Der Erfinder Anatol Josepho entwickelt in den USA der 1920er-Jahre jene Fotobox, die wir heute kennen. Und lässt sich selber sogleich mit seinem Terrier ablichten.
Ausstellung im Photo Elysée Lausanne
Ab 1927 erobert Josephos «Photomaton» die Welt. Begeistert von jeglichen automatischen Prozessen, stürmen in Paris die Surrealisten die Apparate. Später sind es Andy Warhol, Cindy Sherman oder Arnulf Rainer, denen es die Bildfindung, die Ästhetik oder das genormte Passfoto als Leinwand für verfremdende Kritzeleien antun. In diesem Geist hat sich auch der Künstler Christian Marclay den Automatenfotos angenommen.
Für eine Ausstellung im Photo Elysée Lausanne hat er mit Fotostudierenden der École cantonale d’art de Lausanne (ECAL) Besucherfotos aus dem hauseigenen Automaten bearbeitet. Denn wo auch immer die Analogautomaten noch stehen: Ihre Anziehungskraft ist ungebrochen. Weshalb eigentlich? Auf Nostalgie allein möchte die Fotohistorikerin Nora Mathys die Beliebtheit nicht reduzieren.
Viel mehr mache es doch einfach Spass, nie zu wissen, wann der Blitz komme, und am Schluss so ein Schwarz-WeissFoto in den Händen zu halten, das vielleicht fehlerhaft ist. «In einer Welt, in der alle Fotos immer perfekt scheinen, hat das Charme.» Vor dem Helsinki Klub schliesst Patrick Frank die Wartungstür in seinem Fotoautomaten. Eben hat er die Töpfe mit der Entwicklerflüssigkeit und den Wasserbädern eingesetzt. Die beiden Apparate zu betreiben, ist alles andere als stressfrei.
Ersatzteile sind rar, die Standorte unsicher, die Filme seit dem RusslandEmbargo Mangelware. Wirklich lange in die Ferien kann Frank nur selten. Niemand ausser ihm kann die Apparate flicken. Und doch mag er sie. «Es ist vor allem schön, zu sehen, welche Freude die Menschen daran haben.»
«Wir haben uns bei den Blitzen verzählt»
Kaum ist der Automat wieder einsatzbereit, kommt ein junges Paar um die Ecke. Sie ziehen ihre Jacken aus, zwängen sich auf den kleinen Drehstuhl, ziehen den Vorhang, bald blitzt es dahinter. Einige Minuten später rutscht ihr Fotostreifen in den Ausgabeschacht. Das letzte Foto zeigt nur sein rechtes Bein in Seitenansicht. Sie fehlt ganz. «Wir haben uns bei den Blitzen verzählt und sind zu früh raus», lachen die beiden. Ein perfektes Automatenfoto eben.
Fotoautomat – Christian Marclay × ECAL
Fr, 29.3.–So, 2.6.
Photo Elysée Lausanne