Ausstellung: Die Flüchtigkeit des Lebens
Die Fotostiftung Winterthur ehrt mit Robert Frank einen wichtigen Exponenten der Strassenfotografie. Gleichzeitig zeigt das Fotomuseum, wie sich dieses Genre in den letzten 70 Jahren entwickelt hat.
Inhalt
Kulturtipp 20/2020
Simon Knopf
Schnell müsse man als Fotograf sein, sagte Robert Frank (1924–2019) einst – und still. Er musste es wissen. Der schweizerisch-amerikanische Künstler bannte in den 1950er-Jahren das Leben in den USA auf 30 000 Bilder: poetische Alltags-Miniaturen, rohe Gegenentwürfe zum American Dream, körnig und flüchtig und von ganz nah fotografiert. 80 dieser Fotos veröffentlichte er 1958 in «The Americans» – der Bildband gilt als ...
Schnell müsse man als Fotograf sein, sagte Robert Frank (1924–2019) einst – und still. Er musste es wissen. Der schweizerisch-amerikanische Künstler bannte in den 1950er-Jahren das Leben in den USA auf 30 000 Bilder: poetische Alltags-Miniaturen, rohe Gegenentwürfe zum American Dream, körnig und flüchtig und von ganz nah fotografiert. 80 dieser Fotos veröffentlichte er 1958 in «The Americans» – der Bildband gilt als einer der wichtigsten des 20. Jahrhunderts. Ein Jahr nach Franks Tod widmet ihm die Fotostiftung in Winterthur die Ausstellung «Memories». Diese wirft auch einen Blick auf weniger bekannte Arbeiten, die sein späteres Werk vorwegnehmen.
Franks «The Americans» zählt auch zu den Meilensteinen der Street Photography. Dieses Genre der Fotokunst entwickelte sich besonders ab den 1930er-Jahren, als sich handliche Kameras mehr und mehr verbreiteten. Die Idee: Fotografen wollten die unverfälschte Realität in den Städten einfangen – Individualität und Eskapaden, gesellschaftliche Spannungen und Tragik. Mit der Schau «Street.Life.Photography» gewährt das Fotomuseum Winterthur nun einen Einblick in über 70 Jahre Strassenfotografie. Die 220 Arbeiten von 37 Fotografinnen und Fotografen wer- den in thematischen Blöcken wie «Anonymity» oder «Crashes» gezeigt. Im Verzicht auf eine klassische Chronologie dürfte die Stärke der Schau liegen: Es geht nicht um Vollständigkeit, sondern um ästhetische Ansätze und die Entwicklung des Genres.
Authentizität in der Strassenfotografie
Eine rein beobachtende Position nimmt ab den 1930ern die US-Amerikanerin Lisette Model (1901–1983) ein. Oft schiesst sie ihre Fotos aus der Ferne: Gelangweilte Urlauber in Nizza. Oder Passanten, die sich in Schaufenstern spiegeln. William Klein hingegen trägt seine Kamera offen und macht in den 1950er-Jahren die Reaktion der Menschen zum zentralen Element seiner Fotos. Dem heute 92-Jährigen gelingen so Ikonen: Unscharfe und bedrohliche Gesichter blicken dem Betrachter entgegen. Ein andermal schiesst ein Bub mit der Spielzeugpistole frech zurück.
Wie einst Lisette Model wird auch der polnische Fotograf Maciej Dakowicz ab 2005 für die Serie «Cardiff after dark» zum Beobachter. Betrunkene Partygänger, vermüllte Strassen und das Licht von Leuchtreklamen – seine intensiven Fotos aus dem walisischen Nachtleben pendeln zwischen Gesellschaftskritik und Situationskomik. Peter Funch schliesslich geht gänzlich neue Wege. Am Computer collagiert der Däne unzählige Fotos derselben Strassenecke zu verdichteten Bildern. Heere von Gähnenden marschieren hier auf, rudelweise werden Hunde synchron Gassi geführt.
Authentizität – sie war stets das wichtigste Gut der Strassenfotografie. Muss sie in digitalen Zeiten neu verhandelt werden? «Street.Life.Photography» stellt dies zumindest zur Diskussion. Wohin auch immer sich das Genre künftig bewegt, geduldig werden die Fotografinnen und Fotografen immer sein müssen. In der Stadt, da führt der Zufall Regie.
Ausstellungen
Robert Frank – Memories
Sa, 12.9.–So, 10.1. Fotostiftung Winterthur ZH
Street.Life.Photography
Sa, 12.9.–So, 10.1. Fotomuseum Winterthur ZH