Ganz nah oder sehr weit weg? Diese Frage stellt sich dem Betrachter immer mal wieder beim Anblick von Guido Baselgias Werk. Wenn Gletscherzungen im Engadin wie kleine Eisfelder erscheinen, Eisschollen an der Barentssee wie Gebirgszüge, die Talfurchen des bolivianischen Hochlandes wie Rinnsale im Sand. Der Bündner Fotokünstler hat in den vergangenen 20 Jahren die Landschaftsfotografie ordentlich umgekrempelt. Denn seine Bilder stellen mit ihrem Mangel an üblichen Orientierungshilfen unsere Sehgewohnheiten auf den Prüfstand. Auch seine jüngste Arbeit tut dies ein Stück weit, holt sie doch die dichte, verschlungene Welt des tropischen Regenwaldes ganz nah heran.
Auf Kargheit folgt die Fülle
Zwei Reisen führten Baselgia in den vergangenen eineinhalb Jahren ins Amazonasgebiet im Osten Ecuadors. Der Werkzyklus, der daraus entstand, ist nun in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zum ersten Mal zu sehen. Die Serie ist in gewisser Weise die logische Konsequenz auf das bisherige Schaffen des 66-Jährigen: Auf Bilder der Kargheit, der Leere und Weite folgen nun die Fülle und Überfrachtung des Urwaldes.
Spiel mit Licht und dessen Wirkung
Guido Baselgia (*1953) wächst im bündnerischen Pontresina auf. Zunächst lernt er Hochbauzeichner, studiert dann an der Kunstgewerbeschule Zürich Fotografie. Ab den späten 1970ern arbeitete er als Werkfotograf für Industrieunternehmen, später als Fotoreporter. Ende der 1990er kehrt Baselgia ins Engadin zurück und wendet sich der Fotokunst zu. Mit seinen Schwarz-Weiss-Fotos bricht er schon bald mit den Konventionen der Landschaftsfotografie. Oft fehlen in seinen Bildern Zentralmotiv, Horizont und Vordergrund. Gerne variiert er mit Vogelperspektive, Frontal- und Aufsicht.
In den drei viel beachteten Serien «Hochland», «Weltraum» und «Silberschicht» richtet Baselgia seinen Blick auf die schroffen Landschaften oberhalb der Baumgrenze, auf die Einöde des hohen Nordens und die Lichterscheinungen im Andenhochland. Diese Fotos zeigen Landschaften ohne Ereignisse. Doch beim Betrachter passiert viel: Ein Gefühl der Orientierungslosigkeit überkommt einen beim Anblick dieser Flächen aus Geröll, Wasser oder Eis. Denn die unklaren Massstäbe führen zur Abstraktion. Und das wiederum ist durchaus lustvoll.
In seiner jüngsten Serie führt Baselgia seine Arbeitsweise fort. Die Bildausschnitte passt er den jeweiligen klimatischen Landschaftszonen an. Er lässt freie Räume zu, wo der Nebelwald an den Andenhängen diese bietet; verdichtet, wo auch die tropische Flora zu wuchern beginnt. Wimmelbilder entstehen: Farne fächern sich auf, Baumstämme schrauben sich gen Himmel, Lianen umschlingen alles. Bisweilen geht er auch nahe ran, isoliert ein einzelnes Blatt oder ein Stück Baumrinde. Wenn dann die Wölbung des Blattes plötzlich an die Zunge des Morteratschgletschers erinnert und das Muster in der Baumrinde an Furchen in einer Landschaft aus der Vogelperspektive, dann schlägt er die Brücke zu seinem früheren Schaffen.
Baselgia geht es immer auch um die Fotografie an sich. Der Bündner arbeitet konsequent analog und mit Grossbildkameras. Das Spiel mit dem Licht und dessen Wirkung ist auch in seiner Regenwald-Serie zentral. Durch Vorbelichtung des Fotopapiers vermeidet er zu starke Kontraste. Seine Fotos nehmen so die Stimmung der dicht wuchernden Natur auf – die Essenz des Regenwaldes.
Guido Baselgia – Als ob die Welt zu vermessen wäre
Bis So, 16.2., Fotostiftung Schweiz Winterthur ZH