Huch, was blicken diese blauen Augen erschrocken drein! Like a deer in headlights, würde man auf Englisch sagen –wie ein Hirsch/Reh im Scheinwerferlicht. Albert Oehlens Selbstporträt von 2017 wirft einen geradezu zurück in der Karriere des heute 64-jährigen deutschen Künstlers. Einer Karriere, in der es stets um die Malerei und die Auslotung von Grenzen ging.
Der rotbraune, undefinierbare Hintergrund, das flächig gehaltene Gesicht – schon 1985 malte er so. Etwa im Werk «Auch einer», diesem schludrig dahin-gepinselten, ostentativ röhrenden Hirsch in blauem Anzug. Oder noch etwas früher, 1983, im Selbstporträt, das nicht nur seines Titels wegen noch immer gerne zitiert wird: «Selbstporträt mit verschissener Unterhose und blauer Mauritius». Das Missgeschick in der Boxershorts ist farblich angedeutet, eine Hand hält derweil eine Pinzette mit der Mauritius-Briefmarke. Eine Albernheit, Oehlen war damals einer der Neuen Wilden und galt als Punk der Kunstwelt.
Die Neuen Wilden malten expressiv, mit wuchtigen Farben und einer gewissen Unbekümmertheit. Manchmal auch bewusst dilettantisch. Klar, steckte da Rebellion drin: gegen festgefahrene bürgerliche Wertemassstäbe, gegen die Konzeptkunst und sonstiges Verkopftes. Oehlen sah seinen Parallelismus von Fäkalien und einer legendären Sammlerbriefmarke als Spiel mit einer Kunstrezeption, die in seinen Augen zu stark nach dem Sinn im Figurativen suchte.
Werke im konstanten Wandel
Doch um die Provokation allein ging es Albert Oehlen nie – er wollte vor allem das Medium Malerei wiederbeleben. Ein Blick auf sein Werk der vergangenen 30 Jahre zeigt, dass er sein Schaffen stetig Veränderungen unterwarf. Er kollaborierte mit Künstlern wie Jonathan Meese und Martin Kippenberger, schuf Collagen und Installationen, malte abstrakt oder mit Hilfe des Computers, mischte Medien und Einflüsse. «Postungegenständlich» nannte er seinen Stil einmal, um das Konzept selber gleich wieder als «albern» zu bezeichnen. Eine gewisse Widerborstigkeit erhielt sich Albert Oehlen. Und sei es nur in Form des konstanten Wandels.
Diese ununterbrochene Entwicklung wird auch in einer Ausstellung des Kunstmuseums St. Gallen angedeutet. Unter dem Titel «unfertig» zeigt dieses in der Lokremise eine Reihe bisher unveröffentlichter Gemälde. Die Einzelschau bietet aber auch Einblicke in früheres Schaffen. Einige Werke aus den 1980ern werden ausgestellt und das eingangs erwähnte Selbstporträt. Aber auch das Gemälde «Mel» von 2004 ist zu sehen – ein abstraktes Computer-Bild, eine bunte Luftigkeit von fünf auf sechs Metern. Oder sein «Ohne Titel (Baum 37)» von 2015, eines aus einer Reihe abstrakter Baumgemälde. In dieser Serie kombinierte Oehlen schwarze Baumstämme mit geometrischen Farbflächen. Das Ganze malte er auf Aluminium-Platten. Die Kühle des Trägermediums beisst sich mit den biomorphen Bildelementen.
Sichtbar wird der ewige Schelm
Hier wird verdeutlicht, auf was der Ausstellungstitel «unfertig» auch hinweisen soll: Die Geschichte der Malerei ist nie zu Ende geschrieben. Albert Oehlen wird das Medium weiter infrage stellen, wird weiter an der Grenze zwischen Figuration und Abstraktion wandern. Und in der Zwischenzeit wird er sich daran erfreuen, dass die glatte Alu-Oberfläche seiner Baumserie gnadenlos jede Schludrigkeit offenlegt. Albert Oehlen ist und bleibt ein Schelm.
Albert Oehlen – unfertig
Sa, 6.7.–So, 10.11.
Kunstmuseum St. Gallen
Lokremise