Er ist ein Intellektueller, ein scheuer dazu. Der US-amerikanische Künstler Bruce Nauman versteht die Kunst als Ansatz, die Welt zu ergründen und das Dasein zu erklären. Figuren wie der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein, der Musiker John Cage oder der Bühnen-Avantgardist Samuel Beckett sollen sein Kunstverständnis geprägt haben. «In seiner Arbeit ergründet er Themen wie Sprache, Raum und Körperlichkeit und lotet Machtstrukturen sowie soziale Konventionen aus», ist dem Ausstellungstext zu entnehmen. Nauman ist ein Pröbler und Denker, der immer wieder neuen Zugang zum Wesen der Kunst sucht. Dabei weiss er, dass er diesen Kern nie ergründen wird – gerade das ist ihm Ansporn.
Er soll nach seiner künstlerischen Ausbildung an den Universitäten von Wisconsin und Kalifornien zum Schluss gekommen sein, «egal, was ich mache, es ist Kunst». Die Aussage tönt banal, ist sie aber nicht. In ihrer Konsequenz sagt sie, dass auch das Nichtstun Kunst ist, womit die Tätigkeit ad absurdum geführt ist. Dem Paradox ist er bis heute treu geblieben.
Das Baselbieter Schaulager in Münchenstein zeigt nun eine Retrospektive mit 170 Schlüsselwerken aus allen Schaffensperioden des heute 76-Jährigen. Wie die Ausstellung belegt, kann Naumans kopflastiger Zugang im Einzelfall witzig, sogar selbstironisch sein. Die frühe Tuschzeichnung «Myself as a Marble Fountain» illustriert dies köstlich. Nauman zeigt sich selbst in der Position eines Wasser speienden Brunnens. Die Aussage erscheint klar: Er sieht sich als Inspirationsquelle, die sich ins Nichts eines Brunnens ergiesst.
Immer auf der Suche nach neuen Horizonten
Kunstkritiker sehen in «Myself as a Marble Fountain» eine Verbeugung vor dem französischen Konzeptkünstler Marcel Duchamps mit seinem wegweisenden Werk «Fountain», der ebenfalls zu Naumans künstlerischem Orientierungsrahmen gehört. Vor allem aber: In Werken wie diesem kommt das Spielerische zum Ausdruck. Man hat den Eindruck, dass sich dieser Suchende weigert, erwachsen zu werden. Er versteht seine Entwicklung nie als vollendet.
Das Spektrum seiner Arbeiten erweiterte Bruce Nauman mit seiner Suche nach neuen Ansätzen über die Jahre laufend: Videoarbeiten, Zeichnungen, Druckgrafiken, Fotografien, Skulpturen sowie Neon- und Soundarbeiten. Jedes seiner Werke war für ihn Anlass, neue Horizonte zu ergründen. Dabei kennt er die Grenzen seiner Bestrebungen, wie er in einem seiner seltenen Interviews mit der «Zeit» sagte: «Mit Erlösung hat meine Kunst nur wenig im Sinn. Sie befreit uns von gar nichts. Vielleicht hilft sie manch einem, sich selbst besser wahrzunehmen.» Was schon viel ist.
Zum ersten Mal zu sehen ist seine neue Skulptur «Leaping Foxes» (Springende Füchse). Sie zeigt Hirsche, Karibus und Füchse in einer Pyramide. Die Körper erinnern an Kadaver in einem Schlachthaus. Wer es weniger grauselig liebt, denkt an die Parodie einer Zirkusnummer mit dressierten Tieren.
Kunst als Energiespender
Die Installation verstört, vor allem aber lässt sie dem Betrachter einen gewaltigen Interpretationsspielraum. Darauf weist der Ausstellungstitel «Disappearing Acts» hin. Er bezieht sich auf die Leerstellen in seinem Werk auf das Nicht-Explizite, nur Angedeutete: «Das Verschwinden ist ein reales Phänomen und zugleich eine wunderbar weit gefasste Metapher für den Kampf gegen die mit dem kreativen Prozess verbundenen Ängste», sagt Kuratorin Kathy Halbreich.
Möglicherweise sieht Nauman selbst seine Kunst bescheidener, etwa als er der «Zeit» sagte: «Im besten Fall verleiht sie uns eine Art Energie. Aber das verändert die Leute nicht.» Aber es inspiriert sie, sich an die Kunst zu wagen – und wenn es nur Nichtstun ist.
Disappearing Acts
Bis So, 26.8.
Schaulager Münchenstein BL