«Villa im Tessin; modernste Bauweise». Einst, 1961, kostete das Modellhäuschen zum Selbermachen laut Katalog 4.75 DM, das «Fertighaus» 15 DM. Das Gebäude wird beschrieben als «ein typisches Landhaus aus dem Süden; das Vorbild des Modells steht an der Strasse Gotthard–Lugano».
Eine schöne Architekturgeschichte im Kleinen aus der Ausstellung «Der Traum von Amerika. 50er-Jahre-Bauten in den Alpen» in Stans. Wie kommt ein solch modernes Tessiner Gebäude als Modellbau-Haus in den Faller-Katalog? Die Geschichte geht so: Hermann Faller, Mitgründer und Mitbesitzer der berühmten Firma für Modelleisenbahn-Zubehör, entdeckte die Villa Ende der 1950er-Jahre auf einer Autofahrt von Deutschland ins Tessin. Das Haus stand und steht noch heute in Ambrì, 1958 erbaut von den beiden einheimischen Brüdern Aldo und Alberto Guscetti, Architekt der eine, Ingenieur der andere.
Die Guscetti-Brüder wirkten, von der Architekturgeschichte eher unbeachtet, im Tessin und liessen sich in jungen Jahren davon inspirieren, was und wie in der Welt sonst gebaut wurde, etwa in den USA von Architektur-Klassikern wie Frank Lloyd Wright. Aus ihren diversen Inspirationsquellen haben die Guscettis «ein Amalgam geschaffen, das eine Art eigenständige Form annahm», wie Ausstellungs-Kurator Marcel Just sagt.
Das Echte wird Modell
Unternehmer Hermann Faller war vom Haus angetan. Er liess sich daheim in Gütenbach (Schwarzwald) die Tessiner Villa mit Variationen nachbauen, um dann aufgrund des Tessiner Vorbildhauses und seiner eigenen Villa ein Modellbau-Häuschen (B-271) produzieren zu lassen. Die Ausstellung in Stans zeigt vier individuell kolorierte Faller-Bastelhäuschen. Eines stammt aus der Sammlung eines Schweizer «Tatort»-Regisseurs.
«Oasen» der 50er-Jahre
Die Leventina mit den Guscetti-Bauten auf der einen Seite des Gotthards. Auf der anderen: der Bürgenstock im Kanton Nidwalden. Thema der Ausstellung in Stans sind die beiden «Oasen» oder «Biotope», als Orte, in die in den 1950er-Jahren Weltoffenheit und Modernität Einzug hielten. Beide Orte verbinden der Entstehungszeitraum und die ländliche Lage im Alpenraum, dazu der Geist von damals, eine Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre, nicht zuletzt inspiriert durch das Vorbild USA.
Mondän war der Bürgenstock schon. Auf dem Kurort-Berg in der Innerschweiz standen die noblen Hotelbauten aus der Belle Epoque. Hoteliersohn Fritz Frey, der 1953 die Anlagen übernahm, war gerade inspiriert aus den USA zurückgekommen. Der traditionelle Bürgenstock sollte attraktiv(er) werden für eine moderne Kundschaft. Auch Prominenz stellte sich bald ein: Die Bürgenstock-Annalen der 1950- und 1960er-Jahre verzeichnen Gäste- oder gar Bewohner-Namen wie Audrey Hepburn, Sophia Loren und Sean Connery.
Fritz Frey realisierte zusammen mit Architekten eine Reihe von sogenannten Kleinbauten, darunter 1955 den «Bürgenstock Bazaar» mit Bijouterie-, Uhren- und Mode-Geschäft. Eine von Freys Neuerungen zur Auffrischung des Bürgenstocks war die exklusive Gartenanlage mit Schwimmbad. Die Wand des nierenförmigen Schwimmbeckens ist mit türkisfarbenen Glasmosaiksteinen ausgekleidet, die ganze Anlage erstrahlte auch in der Nacht dank Umgebungs- und Unterwasserbeleuchtung.
Mit Unterwasserbar
Damit nicht genug: Fritz Frey liess unter dem Becken eine Unterwasserbar bauen, wo sich die Kundschaft in einem Science-Fiction-Film wähnte. Ein riesiges Bullauge öffnete den Blick ins Wasser. An der Decke des futuristischen Raums hingen Sternzeichen-Motive, gestaltet vom Luzerner Künstler Robert Wyss. Die Zierobjekte hatten über die Jahre den Weg in einen Kindergarten gefunden, wo die ursprünglich weissen Formen buntfarbig angemalt wurden.
Die geretteten Sternzeichen aus der Unterwasserbar sind in der Ausstellung ebenso zu sehen wie historische Fotografien, Pläne, Postkarten, Werbeinserate von damals. Heutig ist die Fotostrecke, die alle Architektur-Objekte im Zustand von 2016 zeigt.
Mondän einst und heute
Unter den Exponaten anzutreffen ist eine Original-Schubkarrenliege samt blau-weiss gestreiftem Kissen, wie sie in den glorreichen Tagen am Pool auf dem Bürgenstock Verwendung fand, exklusiv von einem einheimischen Handwerker geschreinert. Ein leicht lädiertes Modell der gesamten früheren Bürgenstock-Anlage gibt einen schönen Überblick: Im Mini-Format der Landschaft sieht man tatsächliche Gebäude und solche, die geplant waren.
Mondän war der Bürgenstock nicht nur in der Vergangenheit. Er soll es in der Zukunft wieder werden. Im Sommer 2017 ist es so weit. Seit 2013 wird gebaut. Ein nobles Resort entsteht mit insgesamt 30 Gebäuden, nicht nur Hotels, auch Tennishallen und zehn Luxusvillen. Ein neuer Golfplatz ist bereits fertiggestellt. Die Katara Hospitality Switzerland AG investiert gute 500 Millionen Franken in das neue Bürgenstock-Resort. 800 Personen sollen schliesslich Arbeit finden. Wieder wird ein anderer Geist auf dem Tourismus-Berg wehen.
Katalog
Marcel Just, Meret Speiser
«Der Traum von Amerika. 50er-Jahre-Bauten in den Alpen»
32 Seiten
(Nidwaldner Museum 2016).
Ausstellung
Der Traum von Amerika
50er-Jahre-Bauten in den Alpen
So, 11.9.–So, 20.11. Nidwaldner Museum Salzmagazin Stans
Eröffnung: Sa, 10.9., 17.00
www.nidwaldner-museum.ch
Führung zu den 50er-Jahre-Objekten auf dem Bürgenstock
(Teilnehmerzahl begrenzt, nach Anmeldung)
Sa, 1.10., 11.00
Führung durch die Ausstellung
Mit Kurator Marcel Just und Kunsthistorikerin Meret Speiser
Mi, 2.11., 18.30