Ausstellung: Dem Menschen ganz nahe
In der Ausstellung «Close-up» vereint die Fondation Beyeler Porträts und Selbstporträts von Lotte Laserstein, Alice Neel, Berthe Morisot und anderen Künstlerinnen.
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Kulturtipp 20/2021
Simon Knopf
Es gibt Gemälde, bei denen ist nicht sofort ersichtlich, welches Detail das wichtige ist. «Hartley on the Rocking Horse» von Alice Neel (1900–1984) ist so eines. Im Zentrum des Bilds zieht ein Bub mit weit aufgerissenen Augen den Blick auf sich: Neels Sohn Hartley auf einem Schaukelpferd. Fast übersieht man in einem Spiegel im Hintergrund die Künstlerin selber.
Bekannt für ihre expressiven und feinfühligen Porträts, thematisierte ...
Es gibt Gemälde, bei denen ist nicht sofort ersichtlich, welches Detail das wichtige ist. «Hartley on the Rocking Horse» von Alice Neel (1900–1984) ist so eines. Im Zentrum des Bilds zieht ein Bub mit weit aufgerissenen Augen den Blick auf sich: Neels Sohn Hartley auf einem Schaukelpferd. Fast übersieht man in einem Spiegel im Hintergrund die Künstlerin selber.
Bekannt für ihre expressiven und feinfühligen Porträts, thematisierte die US-Malerin Neel im Verlauf ihrer Karriere immer wieder ihr eigenes Dasein im Spannungsfeld zwischen Künstlerin und Mutter. Somit passt sie ausgezeichnet in die Ausstellung «Close-up» in der Fondation Beyeler.
Entgegen bürgerlicher Konventionen
Die Schau zeigt Werke von neun Künstlerinnen, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert mit dem Menschen und mit Rollenbildern auseinandersetzten. Zu Alice Neel gesellen sich grosse Namen: Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Frida Kahlo, Marlene Dumas, Cindy Sherman und Elizabeth Peyton. Schon die Impressionistin Berthe Morisot zeigt 1885 in «Junge Frau auf dem Sofa» eine Dame, die sich entgegen den bürgerlichen Konventionen im Sessel fläzt und uns selbstbewusst entgegenschaut. Bei Lotte Lasersteins «Selbstporträt mit weissem Kragen» von 1923 ist dieser entschlossene Blick zum Programm geworden. Laserstein hat sich ganz den modernen Frauen ihrer Zeit verschrieben. Ihre Porträts und Aktmalereien sind weder voyeuristisch noch idealisierend; Distanziertheit und Verletzlichkeit halten sich auf ganz eigene Art die Waage.
Lotte Lasersteins Weg verfolgen Künstlerinnen seither noch konsequenter. Die US-amerikanische Fotografin Cindy Sherman demontiert mit ihren grotesken Fotos Geschlechterstereotypen. Die südafrikanische Malerin Marlene Dumas behandelt in ihren Porträts Themen wie Identität, Sexualität und Tod. Das ist mal berührend, mal provokativ. Ihr Bild «Teeth» von 2018 etwa zeigt ein Frauengesicht von Nahem. Der rote Mund ist eine zähnefletschende Antithese zu all den lächelnden Frauenmündern aus der Werbung und in den Magazinen. Noch brauchen wir solche Kampfansagen.
Close-up
So, 19.9.–So, 2.1.
Fondation Beyeler Riehen BS