Auf einem Pariser Flachdach landet 1977 ein Wesen, das die einen für einen Engel halten, die anderen für ein Alien. Sein schwarzes Glitzerkleid erinnert an Flügel, der kahl geschorene Kopf hingegen verleiht ihm etwas androgynes, ausserweltliches. Ob man von Manon nun entzückt oder angewidert ist – so schnell vergisst man die Künstlerin nicht mehr.
Die Fotoreihe «La dame au crâne rasé» macht die Schweizerin damals weltberühmt. In einer Art surrealem Fotoroman zeigt sich die glatzköpfige Manon mal selbstbewusst und sexy, mal unantastbar, einem Androiden gleich. Ein Spiel mit Geschlechterbildern, eine Provokation – wie so vieles in ihrer Karriere.
Prostituierte, Putzfrau und Punk
Die Fotostiftung Schweiz in Winterthur nimmt diese Schwarz-Weiss-Serie zum Ausgangspunkt für die Retrospektive «Manon – Einst war sie ‹La dame au crâne rasé›». Ein Blick ins fotografische Œuvre, der den Moment der Brüskierung zurücklässt. Verhandelt hier nicht eine Künstlerin Themen, die uns alle quälen – Eigenbild und Narzissmus, Schönheitsideale und Sexualität, Leiden und Älterwerden?
Manon wächst als Rosmarie Küng in St. Gallen auf. Nach einer schwierigen Kindheit und Jugend zieht es sie nach Zürich, wo sie an der Kunstgewerbeschule und an der Schauspielakademie studiert. 1974 macht sie unter ihrem Künstlerinnennamen erstmals auf sich aufmerksam. In der Installation «Das lachsfarbene Boudoir» stellt sie ihr Schlafzimmer in einer Galerie aus. Zwei Jahre später platziert sie, inspiriert von den Bordellstrassen in Hamburg und Amsterdam, für «Manon presents Men» Männer ins Schaufenster einer ehemaligen Metzgerei. Manon stülpt um und stellt auf den Kopf: Privates wird öffentlich, die Machtträger der Gesellschaft werden zu Lustobjekten.
Ab den späten 1970ern wird die Selbstinszenierung zu Manons Markenzeichen. In ihrer Fotoserie «Elektrokardiogramm 303/304» von 1979 posiert sie zwischen Stellwänden oder mit einem Schachbrettmuster auf dem Oberkörper – Anspielungen auf das klaustrophobisch enge Spielfeld, das die Gesellschaft insbesondere den Frauen zugesteht. In «Ball der Einsamkeit» von 1983 wiederum fotografiert sie sich in 32 verschiedenen Frauenrollen: Prostituierte, Putzfrau oder Punk.
Mit der eigenen Vergänglichkeit versöhnt
Wie decken sich Selbst- und Fremdbild? Und was wäre, wenn? Das Spiel mit den Möglichkeiten der eigenen Biografie macht Manon 2003 erneut zum zentralen Moment einer Fotoserie. Der Arbeit «Einst war sie Miss Rimini» liegt ein Gedankenexperiment zugrunde: Was wurde wohl aus einer jungen Frau, die 30 Jahre zuvor Schönheitskönigin war? Mit einer Spur Schalk spielt Manon die Möglichkeiten durch, posiert vor einer weissen Wand als Heilsarmistin und Nonne, Society Dame, Violinistin oder Patientin. Diese Arbeit habe sie mit dem Älterwerden versöhnt, sagte Manon selber einmal dazu. Ein Thema, das die mittlerweile 81-jährige Künstlerin seit einigen Jahren vermehrt beschäftigt. Eine ihrer berührendsten Fotoserien, «Hotel Dolores», schiesst sie zwischen 2008 und 2011 in drei stillgelegten Bäderhotels im aargauischen Baden. Verlassene Zimmer, rissiger Verputz und fleckige Tapeten dienen ihr als Kulisse für die Beschäftigung mit dem eigenen Leben und Werk.
Die gut 200 Bilder der Reihe sind fotografische Stillleben. Darin hängen frühere Arbeiten an den Wänden oder sind auf einen Paravent projiziert, Pin-ups zieren heruntergekommene Treppenhäuser. Schönheit und Zerfall gesellen sich zueinander. Manon scheint sich mit der eigenen Vergänglichkeit versöhnt zu haben. Und ist gerade dabei, unsterblich zu werden.
Manon – Einst war sie «La dame au crâne rasé»
Sa, 19.2.–So, 29.5. Fotostiftung Schweiz Winterthur ZH