Ein netter Fund auf dem Flohmarkt ist etwas Schönes, nicht? Ein Aufziehauto aus Blech, antike Kerzenständer, ein gut erhaltenes Aquarell. Auch Ruth und Peter Herzog freuten sich vermutlich, als sie 1974 auf einem Zürcher Flohmarkt dieses eine Schwarz-Weiss-Foto entdeckten. Die Aufnahme um etwa 1900 zeigt eine Gruppe von Spinnerinnen, in deren Mitte ein Hund sitzt. Das Foto faszinierte die Herzogs – und sollte den Anfang einer Fotosammlung darstellen, die heute zu den weltweit bedeutendsten gehört.
Umfassende Geschichte der analogen Fotografie
Sage und schreibe 500 000 Fotos hat das Ehepaar in gut 46 Jahren zusammengetragen. Das Kunstmuseum Basel gewährt mit der Ausstellung «The Incredible World of Photography» nun erstmals einen ausführlichen Einblick in diesen Schatz. Um ein Haar wäre es nie so weit gekommen. Vor einigen Jahren brauchte das Ehepaar dringend Geld und beschloss, die Fotografien zu verkaufen. Beinahe wären ihre Bestände so in alle Himmelsrichtungen verteilt worden. Dies verhindert hat niemand Geringerer als das Architekten-Team Herzog & De Meuron. Jacques Herzog, Peters Bruder, und dessen Partner übernahmen die Sammlung und integrierten sie in ihr «Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett». Dort erforschen Kunsthistorikerinnen die Fotografien seither, inventarisieren und digitalisieren sie.
Was diese Sammlung so speziell macht: Die Bestände reichen von 1839, der Frühzeit des Mediums, bis in die 1970er. Vertreten sind sämtliche technische Entwicklungen und Materialien, Presse- und Wissenschaftsfotos, Werke von namhaften Pionieren und Amateur-Arbeiten. Ruth und Peter Herzog trugen gewissermassen eine umfassende Geschichte der analogen Fotografie zusammen.
Brückenschlag zwischen Fotografie und Kunst
Daraus zeigt das Kunstmuseum Basel rund 400 Exponate. Ein Parcours durch neun Räume führt die Besucher in die Vielfalt der Sujets und Techniken ein, thematisiert Reproduktion und die Sammlungstätigkeit an sich. Ausgestellt werden kommerzielle Fotos des 19. Jahrhunderts und Werbebilder des 20. Jahrhunderts; Silbergelatineprints, Salzpapierabzüge und Pionierverfahren wie die Daguerrotypie, bei der Metallplatten verwendet werden. Gleichzeitig thematisiert die Schau auch die anspruchsvolle Arbeit des Archivteams, dass es oftmals mit kleinformatigen oder äusserst lichtempfindlichen Objekten zu tun hat. Und schliesslich schlägt die Ausstellung eine Brücke zwischen Fotografie und Kunst, indem sie die Fotos Gemälden und Papierarbeiten von Vincent van Gogh, Robert Delaunay und Andy Warhol gegenüberstellt.
Das Spannende an dieser Sammlung ist sicherlich auch ihre inhaltliche Breite. Denn Ruth und Peter Herzogs Schatz ist so etwas wie eine bebilderte Kulturgeschichte des Industriezeitalters. Private Fotoalben erzählen von Entbehrungen in Kriegszeiten. William Bambridges Porträt von Queen Victoria verdeutlicht ihre einschüchternde Präsenz. Eine Walfang-Szene in Schwarz-Weiss lässt in eine längst untergegangene Industrie blicken. Ein handkoloriertes Foto von Badenden holt einen in die einstige Freizeitkultur in Coney Island, New York. Und Léon Gimpels 3D-Foto von 1923 verdeutlicht unsere ewige Faszination für den Mond.
Unlängst nannte Peter Herzog die Fotosammlung in einem Interview mit dem Fernsehsender «Das Erste» ein «Lebensmosaik». Eine schöne und treffende Bezeichnung für ein Lebenswerk, das mit einem simplen Fund auf einem Flohmarkt begann.
The Incredible World of Photography – Sammlung Ruth und Peter Herzog
Sa, 18.7.–So, 4.10. Kunstmuseum Basel